Leitsatz (amtlich)
Zur Prognose des beruflichen Werdegangs einer zum Unfallzeitpunkt 17-jährigen Realschülerin, wenn diese verletzungsbedingt den Schulabschluss nicht schafft und daher zumindest vorübergehend einen Beruf ergreift, der ggü. dem angeblichen früheren Berufsziel geringere Einkommensmöglichkeiten bietet (Friseurin anstelle Innenarchitektin).
Normenkette
ZPO § 287; BGB § 252
Verfahrensgang
LG Regensburg (Aktenzeichen 6 O 2558/00) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil der 6. Zivilkammer des LG Regensburg vom 16.4.2002 abgeändert.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die Zeit vom 1.8.2004 bis 31.7.2009 den durch den Unfall am 19.6.1994 entstandenen Verdienstausfall bezüglich einer von ihr tatsächlich abgeschlossenen Ausbildung als Innenarchitektin abzgl. der tatsächlich erzielten Einkünfte zu ersetzen.
III. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen; die Klage bleibt insoweit abgewiesen.
IV. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 3/4 und die Beklagte 1/4.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Vollstreckung können die Parteien durch Sicherheitsleistung i.H.v. 15.000 Euro (Klägerin) bzw. von 5.000 Euro (Beklagte) abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Beschluss:
Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 60.000 Euro.
Tatbestand
Die am 26.2.1977 geborene Klägerin wurde am 19.6.1994 als angeschnallte Pkw-Beifahrerin bei einem Verkehrsunfall erheblich verletzt. Die Einstandspflicht der Beklagten für die Unfallfolgen ist unstreitig. Entsprechend stellte sie die Klägerin mit Schreiben vom 4.3.1997 so, als wäre hinsichtlich der materiellen und immateriellen Schadensersatzansprüche ein rechtskräftiges Feststellungsurteil gegen die Beklagte erwirkt worden.
Bei dem Unfall erlitt die Klägerin folgende Verletzungen:
– Oberarmschaftfraktur links
– Commotio cerebri
– HWS-Distorsion
– DENS-Fraktur
Die erst ca. 1 1/2 Jahre nach dem Unfall diagnostizierte DENS-Fraktur barg die Gefahr einer Querschnittslähmung schon bei geringen Erschütterungen der Halswirbelsäule. Um diese zu stabilisieren unterzog sich die Klägerin am 23.1.1997 einer Operation, die im Wesentlichen erfolgreich verlief. Zumindest bis zu dieser Operation litt die Klägerin unter ständigen heftigen Kopf- und Nackenschmerzen.
Wegen der Höhe eines angemessenen Schmerzensgeldes kam es zwischen den Parteien zu einem Rechtsstreit (LG Regensburg – 6 O 2195/98). Mit rechtskräftigem Berufungsurteil vom 25.1.2000 sprach der Senat der Klägerin ein Schmerzensgeld i.H.v. insgesamt 50.000 DM zu (OLG Nürnberg, Urt. v. 25.1.2000 – 3 U 2596/99). Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin nunmehr entgangenen Verdienst aus einer fiktiven Tätigkeit als Innenarchitektin.
Die Klägerin hatte bis zum Schuljahr 1992/1993 ein Gymnasium besucht, wechselte dann aber wegen schulischer Probleme in die 8. Klasse einer Staatlichen Realschule, deren 9. Klasse sie mit dem Jahreszeugnis vom 27.7.1994 erfolgreich abschloss. Die anschließende 10. Klasse bestand sie – nach ihrem insoweit unbestritten gebliebenen Vortrag – wegen unfallbedingter häufiger Fehlzeiten nicht. Im Schuljahr 1995/1996 wiederholte sie diese Klasse, nahm an der Abschlussprüfung jedoch nicht teil. Im September 1996 begann sie eine Lehre als Friseurin, die sie nach der Geburt einer Tochter (31.10.1997) und anschließendem dreijährigem Erziehungsurlaub unterbrach. Inzwischen hat sie diese Lehre wiederaufgenommen, die sie im Sommer 2003 mit der Gesellenprüfung abzuschließen gedenkt.
Die Klägerin hat vorgetragen, bereits vor dem Unfall sei ihr Berufsziel gewesen, Innenarchitektin zu werden. Das erforderliche Studium hätte sie nach erfolgreichem Realschulabschluss und dem anschließenden Besuch einer Fachoberschule durchführen können. Tatsächlich habe sie wegen der unfallbedingten ständigen Kopfschmerzen an der Abschlussprüfung der Realschule nicht teilnehmen können. Entsprechend ihren gestalterischen Neigungen habe sie daher die Lehre einer Friseurin aufgenommen. In diesem Beruf werde sie auf Dauer erheblich weniger als in dem erhofften Beruf einer Innenarchitektin verdienen. Die Einkommensdifferenzen habe die Beklagte zu erstatten. Diese könnten gegenwärtig allenfalls hilfsweise beziffert werden, da die jeweiligen – tatsächlich erzielten bzw. fiktiven – Einkommen nicht verlässlich feststünden. Freilich sei bereits jetzt davon auszugehen, dass der Verdienstausfall monatlich 3.750 DM brutto ausmache.
Wegen der unfallbedingten Operation vom 28.1.1997 habe sie die „Pille” absetzen müssen. Die deswegen eingetretene Schwangerschaft sei daher genauso unfallbedingt wie der nach der Geburt ihrer Tochter genommene dreijährige Erziehungsurlaub und die damit verbundene dreijährige Ausbildungsverzögerung. Ohne die unfallbedingte Schwangerschaft hätte sie folglich die Ausbildung zur Innenarchitektin im Juli 2001 abgeschlossen. Daher sei die Beklagte verpflichtet, die Einkommensdiffe...