Leitsatz (amtlich)

›1. Zur Höhe des Schmerzensgeldanspruchs (hier: 150000 [75000 EUR]) eines 25-jährigen Motorradfahrers, der bei einem fremdverschuldeten Verkehrsunfall massive Verletzungen

- Oberschenkelamputation des linken Beines

- offener Trümmerbruch des linken Ellenbogens mit endgültiger Versteifung des Gelenks bei 90 Grad

erlitten hat und die zu gravierenden gesundheitlichen, privaten und beruflichen Dauerfolgen führen [MdE von 100 % für 900 Tage und von 75 % auf Dauer].

2. Ein Prozeßverhalten der beklagten Haftpflichtversicherung, das vom Geschädigten als herabwürdigend empfunden werden muß (hier: grundlos aufgestellte Behauptung eines Mitverschuldens wegen angeblicher Alkoholisierung), wirkt sich schmerzensgelderhöhend aus [Regulierungsverzögerung].‹

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 24.09.1996; Aktenzeichen 8 O 838/92)

 

Gründe

Die Berufung des Klägers ist begründet. Der Senat ist der Auffassung, daß das vom Erstgericht mit 95.000,-- DM angesetzte Schmerzensgeld zum Ausgleich der vom Kläger durch den Unfall vom 25. Juni 1990 erlittenen immateriellen Schäden angesichts der vollen Einstandspflicht der Beklagten nicht ausreicht, daß vielmehr ein Schmerzensgeldbetrag von 150.000,-- DM angemessen ist (§ 847 BGB).

Das Schmerzensgeld soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für diejenigen Schäden bieten, die nicht vermögensrechtlicher Art sind und zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, daß der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung schuldet für das, was er ihm angetan hat.

Der Senat macht sich zunächst die Entscheidungsgründe des Erstgerichts Seite 9 letzter Absatz bis Seite 11 Ende zu eigen. Dort sind eingehend und umfassend die Verletzungen des Klägers, seine physische und psychische Beeinträchtigung, die Dauer des Krankenhausaufenthaltes und der Behandlungen, die Minderung der Erwerbstätigkeit, die Beeinträchtigungen der Lebensfreude und die zu erwartende Verschlechterung des gegenwärtigen Zustands in der Zukunft dargetan und belegt.

Unstreitig erlitt der Kläger bei dem Unfall sehr schwere Verletzungen. Bereits am Unfallort wurde ihm der linke Oberschenkel notfallmäßig amputiert. Außerdem bestand eine drittgradige offene Trümmerfraktur des linken Ellenbogens, die dazu führte, daß das Ellenbogengelenk aufgrund der ausgedehnten knöchernen Zerstörung in Rechterwinkelstellung versteift blieb (Arthrodese). In diesem Bereich kam es nach zunächst komplikationsfreiem Verlauf zu einer Infektion, die eine erneute Operation im Januar 1991 nötig machte. Vom linken Oberschenkel verblieb lediglich ein Stumpf, der Kläger muß eine Oberschenkelprothese tragen. Insgesamt war eine etwa 5-monatige stationäre Krankenhausbehandlung nötig, außerdem führte der Unfall zu einer 100 %igen Erwerbsunfähigkeit für die Dauer von ca. 2 1/2 Jahren. Am 28. Dezember 1992 konnte der Kläger die Tätigkeit in seiner alten Firma wieder aufnehmen. Er ist gelernter Werkzeugmacher und arbeitet jetzt als Fachkraft einer computergesteuerten Werkzeugmaschine. Es handelt sich hierbei um eine hauptsächlich stehende Tätigkeit. Die schwerwiegende Beeinträchtigung der Gesundheit, Lebensfreude und Leistungskraft eines jungen Mannes durch den Verlust eines Beines und die dazukommende schwerwiegende Behinderung durch ein versteiftes Ellenbogengelenk werden hier noch durch eine Reihe von Komplikationen und Befunden verschlimmert. Auf Grund des Unfalls ist ein Beckenschiefstand zu ungunsten links von 2 cm entstanden, der zu einer Verbiegung der Wirbelsäule führt. Dadurch kommt es zu einer beginnenden arthrotischen Veränderung der Wirbelsäule, die im weiteren Leben zunehmen wird. Muskelverspannung und Bandscheibendegeneration speziell im unteren Lendenwirbelsäulenbereich sind deshalb zu erwarten. Durch die Prothese am linken Bein ist das rechte Bein überlastet. Dies führt zu Gelenksbeschwerden beginnend vom rechten Hüftgelenk bis zum rechten Kniegelenk und im oberen Sprunggelenk rechts. Seine Erwerbsfähigkeit ist auf Dauer um 75 % gemindert, eine spätere unfallbedingte Erhöhung ist nicht ausgeschlossen.

Zu berücksichtigen ist ferner, daß die Art und Weise, wie die Beklagte den Schadensersatzprozeß des Klägers geführt hat, eine weitere seelische Beeinträchtigung des Klägers bedeutete, die sich auf die Höhe des Schmerzensgeld auszuwirken hat (vgl. BGH VersR 70, 134 ff). Denn der an sich aus dem Unfallereignis in vollem Umfang ersatzberechtigte Kläger wurde durch das Regulierungsverhalten der Beklagten über Jahre im Ungewissen gehalten und nicht in die Lage versetzt, sich beizeiten mit dem ihm angemessenen Schmerzensgeld einen Ausgleich für die schwerwiegende Beeinträchtigung seines körperlichen und seelischen Wohlbefindens zu beschaffen. Dabei kann zunächst dahinstehen, ob für den Schädiger eine Erfolgsaussicht im Hinblick auf seine Weigerung, den begehrten Ersatz zu leisten, bestand. Wenn der Schädiger letztlich unterliegt, so trägt er und nicht der Anspruchsberechtigte das Risiko der durch die Zahlungsweigerung entstandenen Verzögerungen und weit...

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