Leitsatz (amtlich)
Eine mit einer Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO getroffene Auslagenentscheidung, ist vom Angeklagten auch dann nicht anfechtbar, wenn ihm darin Auslagen auferlegt werden. Die Entscheidung darf in einem solchen Fall aber nur nach vorheriger Anhörung des Angeklagten getroffen werden. Ist diese unterblieben, ist das unzulässige Rechtsmittel des Angeklagten als Gehörsrüge anzusehen.
Normenkette
StPO § 464 Abs. 3 S. 1 Hs. 2, § 154 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Aurich (Entscheidung vom 20.05.2010; Aktenzeichen 11 KLs 18/09) |
Tenor
Der Rechtsbehelf beziehungsweise das Rechtsmittel des Angeschuldigten gegen den Beschluss der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Aurich vom 20. Mai 2010, durch den die Strafkammer es nach Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO abgelehnt hat, seine notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen, und ihm die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin auferlegt hat, ist als Gehörsrüge auszulegen, über die das Landgericht in eigener Zuständigkeit zu entscheiden hat.
Die Sache wird deshalb an das Landgericht zurückgegeben.
Gründe
Die Staatsanwaltschaft Aurich hatte gegen den Angeschuldigten unter dem 1. September 2009 Anklage wegen einer zum Nachteil der Nebenklägerin begangenen Vergewaltigung erhoben. Mit Beschluss vom 20. Mai 2010 hat das Landgericht das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO im Hinblick auf das Verfahren 11 KLs 132 Js 3793/07 (25/07), in dem der Angeschuldigte zu einer Gesamtsfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden war, auf Kosten der Staatskasse eingestellt. Zugleich hat es von einer Überbürdung der notwendigen Auslagen des Angeschuldigten auf die Staatskasse gemäß § 467 Abs. 4 StPO abgesehen und dem Angeschuldigten die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin, die bereits mit Beschluss vom 8. September 2009 zugelassen worden war, auferlegt (§ 472 Abs. 2 StPO).
Gegen diese Auslagenentscheidung richtet sich die Eingabe des Angeschuldigten.
Das Rechtsmittel wäre als Beschwerde unzulässig. Gemäß § 464 Abs. 3 S. 1, 2. Halbs. StPO ist die Beschwerde gegen die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen nicht zulässig, wenn eine Anfechtung der Hauptentscheidung durch den Beschwerdeführer nicht statthaft ist. Das ist bei der durch die Kammer vorgenommenen Verfahrenseinstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO der Fall. Die aus der fehlenden Anfechtbarkeit der Hauptentscheidung folgende Unzulässigkeit der Beschwerde gegen die Auslagenentscheidung ist verfassungsgemäß (vgl. BVerfG, Beschluss v. 29.01.2002, 2 BvR 1965/01, NJW 2002, 1867).
Zu berücksichtigen ist aber, dass das Landgericht im vorliegenden Fall bei seiner Beschlussfassung den Anspruch des Angeschuldigten auf rechtliches Gehör verletzt hat. Es hat nämlich auf den Antrag der Staatsanwaltschaft Aurich vom 17.5.2010, eingegangen am 19.5.2010, bereits am 20.5.2010 den Einstellungsbeschluss nebst Auslagenentscheidung erlassen, ohne zuvor den Angeschuldigten zu hören. Zwar bedarf es bei einer Einstellung nach § 154 Abs.2 StPO der Zustimmung und der vorherigen Anhörung des Angeschuldigten nicht. Das gilt aber bezüglich der Anhörung nur, wenn zugleich mit der Einstellung eine den Angeschuldigten begünstigende Kostenentscheidung getroffen wird, da er dann nicht beschwert ist (vgl. BGH NStZ 1995,18). Dieser Fall ist hier nicht gegeben, denn dem Angeschuldigten sind sowohl seine eigenen notwendigen Auslagen belassen als auch die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin auferlegt worden. Ohne Gewährung rechtlichen Gehörs hätte deshalb das Landgericht nicht entscheiden dürfen.
Dem Angeschuldigten steht daher ein Anspruch auf Nachholung rechtlichen Gehörs gemäß § 33a StPO zu. Das Landgericht wird somit den Angeschuldigten nach der Gewährung rechtlichen Gehörs neu zu bescheiden haben.
Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass § 472 Abs. 2 StPO eine Auferlegung der notwendigen Auslagen der Nebenklägerin auf den Angeschuldigten nur zulässt, soweit dies aus ganz besonderen Gründen der Billigkeit entspricht. Dass diese Voraussetzungen hier vorliegen, bedürfte einer besonderen Begründung, denn nach dem durch die Kammer eingeholten Glaubwürdigkeitsgutachten kann der reelle Erlebnisbezug der Aussage der den Angeschuldigten allein belastenden Nebenklägerin aussagepsychologisch nicht mit der erforderlichen Sicherheit belegt werden (Gutachten S. 99, Bd. I Bl. 279). Eine Verurteilung des Angeschuldigten wäre daher wenig wahrscheinlich gewesen. Ob eine Entscheidung zu Lasten des Angeschuldigten vor Durchführung des Hauptverfahrens angesichts der Unschuldvermutung überhaupt getroffen werden kann, ist zumindest zweifelhaft. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses jedenfalls für den Fall der Überbürdung von Auslagen des Privatklägers auf den Beschuldigten verneint (vgl. BVerfG, Beschluss v. 26.03.1987, 2 BvR 589/79 u.a., BVerfGE 74, 358).
Fundstellen
Haufe-Index 3741436 |
ZAP 2011, 238 |
SVR 2010, 472 |
StraFo 2010, 352 |