Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweisaufnahme im Strafverfahren: Zurückweisung eines Beweisantrags wegen Verschleppungsabsicht nach neuem Recht. Einführung eines Ermittlungsberichts zwecks Prüfung der Aussagekonstanz des Zeugen
Leitsatz (amtlich)
Die durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 eröffnete Möglichkeit der Zurückweisung eines Beweisantrages wegen Verschleppungsabsicht gem. § 244 Abs.6 Satz 2 StPO durch den Vorsitzenden im Rahmen der Sachleitung entbindet nicht von der ebenso im Falle der nach Rechtslage bis zur Gültigkeit der Gesetzesänderung allein möglichen Zurückweisung im Wege eines Gerichtsbeschlusses bestehenden Verpflichtung zur Vorabentscheidung zum Zwecke der Gewährung rechtlichen Gehörs und zur Vermeidung von Überraschungsentscheidungen. Die Zurückweisung darf auch nach neuer Rechtslage nicht dem Urteil vorbehalten werden.
Ein zur Prüfung der Aussagekonstanz des Verfassers hinzugezogener Ermittlungsbericht darf nicht im Wege des Vorhalts gegenüber dem Verfasser eingeführt werden, sondern bedarf der Verlesung im Wege des Urkundsbeweises gem. § 249 StPO.
Normenkette
StPO § 244 Abs. 6 S. 2, § 249 Abs. 1 S. 1, § 251; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Osnabrück (Entscheidung vom 27.01.2020; Aktenzeichen 7 Ns 158/19) |
AG Nordhorn (Entscheidung vom 12.08.2019) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Osnabrück vom 27. Januar 2020 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Osnabrück zurückverwiesen, die auch über die Kosten der Revision zu entscheiden hat.
Gründe
Das Amtsgericht Nordhorn hatte den Angeklagten am 12. August 2019 wegen vorsätzlicher Köperverletzung in Tateinheit mit Landfriedensbruch zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Osnabrück mit Urteil vom 27. Januar 2020 verworfen.
Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt und beantragt, das Urteil in vollem Umfang aufzuheben.
Die zulässige Revision des Angeklagten hat mit den erhobenen Verfahrensrügen Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es am TT.MM.2018 um kurz nach 20 Uhr an der Kreuzung Straße1/Straße2/Straße3 in Ort1 zu einer Auseinandersetzung zweier rivalisierender Gruppen, nämlich der Familie BB einerseits und dem Anhang des Geschädigten CC anderseits, in deren Verlauf mindestens 40 Personen zum Teil mit einer Machete, Messern und Schlagwerkzeugen aufeinander einschlugen. Auch nach Eintreffen der durch Anwohner alarmierten Polizei, darunter als Erstes ein mit dem Beamten DD und der Polizeianwärterin EE besetzter Streifenwagen, verblieben mindestens 25 Personen im Kreuzungsbereich und wirkten weiterhin gewaltsam aufeinander ein. Der Angeklagte stand zu dieser Zeit mit mindestens zwei weiteren Mitstreitern dem Geschädigten CC im Getümmel gegenüber und schlug diesem mit der Faust ins Gesicht, wodurch dieser erhebliche Schmerzen erlitt. Diesen Schlag nahm der Beamte DD wahr, kämpfte sich den Weg zum Angeklagten frei und nahm diesen fest.
Der Angeklagte habe die Tat bestritten. Er hätte sich lediglich deshalb in die Gruppe der Streitenden begeben, um sein Bruder herauszuholen. CC hätte er nicht geschlagen. Die demgegenüber getroffenen Feststellungen des Landgerichts beruhen auf den Angaben des als Zeugen vernommenen Polizeibeamten DD. Dieser habe ausgesagt, den Schlag deutlich gesehen, den Angeklagten - der ihm dienstlich bekannt sei - danach nicht aus den Augen gelassen, sich zu diesem hinbegeben und ihn festgenommen zu haben. Eine Verwechslung sei ausgeschlossen. Diese Aussage sei glaubhaft. Der Zeuge DD habe sie konstant geschildert, sowohl in seinem Ermittlungsbericht als auch vor dem Amtsgericht und nunmehr vor der Kammer. Es handele sich um ein punktuelles Ereignis, dass sich der Zeuge merken und zuverlässig reproduzieren könne. Anhaltspunkte für eine bewusste Falschbelastung hätten sich nicht ergeben; ein Motiv dafür fehle. Die Kammer habe keinen Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussage, auch wenn der Zeuge CC erklärt habe, er sei zwar geschlagen worden, nicht aber von dem Angeklagten. Es sei bei dessen Aussage unverkennbar gewesen, dass dieser den Angeklagten nicht habe belasten wollen. Hintergrund möge sein, dass er weiteren Stress mit der Familie BB in Ort1 befürchtete.
II.
Der Senat kann nicht ausschließen, dass diese Feststellungen auf den mit der Revision geltend gemachten Verfahrensfehlern beruhen.
1.
Zu Recht rügt die Revision, das Landgericht habe einen Hilfsbeweisantrag auf Vernehmung der Polizeianwärterin EE zu Unrecht wegen Prozessverschleppung abgelehnt.
a.
Dieser Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:
In seinem Schlussvortrag vor dem Landgericht beantragte der Verteidiger des Angeklagten, für den Fall, dass die Kammer d...