Leitsatz (amtlich)

Es wird nicht mehr an der früheren Rechtsprechung des Senats (z.B. Urt. v. 12.3.1992 - 1 U 3/92 - OLGZ 1992, 467 = WRP 1992, 412) festgehalten, wonach es bei einer in einem Urteil enthaltenen einstweiligen Verfügung, die eine Unterlassungsanordnung zum Gegenstand hat, einer Vollziehung innerhalb der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO nicht bedarf und eine Zustellung der einstweiligen Verfügung (des Urteils) von Amts wegen an den Verfügungsbeklagten ausreicht. Der Senat schließt sich aus Gründen der Rechtsvereinheitlichung, aber auch aus weiteren Sachgründen der h.M. an, die eine Vollziehung innerhalb der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO zumindest durch Zustellung der einstweiligen Verfügung im Parteibetrieb fordert.

 

Normenkette

ZPO § 929 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Osnabrück (Beschluss vom 17.05.2010; Aktenzeichen 1 O 2564/08)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Schuldner wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Osnabrück vom 17.5.2010 aufgehoben und der Antrag der Gläubiger auf Ordnungsgeldfestsetzung zurückgewiesen.

Die Kosten des Ordnungsgeldverfahrens (einschließlich des Beschwerdeverfahrens) tragen die Gläubiger.

Der Streitwert für das Ordnungsgeldverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Gläubiger betreiben die Vollstreckung aus einem in einem einstweiligen Verfügungsverfahren erwirkten Urteil des LG Osnabrück vom 19.11.2008, mit dem die Schuldner verurteilt worden sind, unter Androhung von Ordnungsmitteln bestimmte Behauptungen in Bezug auf die Gläubiger zu unterlassen.

Die Gläubiger meinen, dass die Schuldner bzw. der für die Schuldnerin zu 1 handelnde Schuldner zu 2 durch Versendung einer E-Mail am 22.4.2009 gegen die titulierte Unterlassungsverpflichtung verstoßen hätten. Sie haben deswegen beim LG die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen die Schuldner beantragt.

Die Schuldner sind dem Ordnungsgeldantrag entgegengetreten und haben ausgeführt, dass ein Verstoß nicht vorliege, u.a. bereits deshalb nicht, weil es sich um eine vertrauliche E-Mail ohne Außenwirkung gehandelt habe.

Das LG hat mit Ordnungsgeldbeschluss vom 17.5.2010 ein Ordnungsgeld i.H.v. 5000 EUR gegen die Schuldner festgesetzt. Wegen der Begründung dieser Entscheidung wird auf den genannten Beschluss des LG Bezug genommen.

Hiergegen wenden sich die Schuldner mit der sofortigen Beschwerde, mit der sie ihr Vorbringen zum angeblich fehlenden Verstoß wiederholen und vertiefen. Sie machen außerdem geltend, dass die einstweilige Verfügung innerhalb der Vollziehungsfrist weder durch Vollstreckungsmaßnahmen, noch durch eine Parteizustellung der einstweiligen Verfügung, noch in sonstiger Weise vollzogen worden sei und dass aus ihr deshalb nicht mehr vollstreckt werden könne.

Das LG hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Wegen der Begründung der Nichtabhilfeentscheidung wird auf den Beschluss des LG vom 2.7.2010 Bezug genommen.

II. Die sofortige Beschwerde der Schuldner ist nach §§ 793, 567 ZPO zulässig und in der Sache auch begründet.

Der Ordnungsgeldbeschluss des LG ist aufzuheben und der Antrag der Gläubiger auf Verhängung eines Ordnungsgeldes zurückzuweisen, weil die im Urteil vom 19.11.2008 enthaltene einstweilige Verfügung nicht mehr vollstreckbar ist.

Nach §§ 935, 936, 929 Abs. 2 ZPO ist eine einstweilige Verfügung - ebenso wie ein Arrest - nur innerhalb eines Monats ab Urteilsverkündung oder Zustellung der Beschlussverfügung an den Gläubiger zu vollziehen, d.h. zu vollstrecken. Diese Regelung trägt dem Eilcharakter der einstweiligen Verfügung Rechnung und errichtet eine zeitliche Schranke, innerhalb der der Gläubiger die Verwirklichung des ihm durch den Titel ermöglichten Rechtsschutzes in Angriff genommen haben muss. Sie soll außerdem im Interesse des Schuldnerschutzes verhindern, dass der Arrest oder die einstweilige Verfügung unter wesentlich veränderten Umständen noch vollstreckt wird als unter denen, die bei der gerichtlichen Anordnung zugrunde gelegen haben (vgl. zum Normzweck der Vollziehungsfrist Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 4. Aufl., § 929 ZPO Rz. 6. Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 929 ZPO Rz. 3, m.w.N.). Nach Ablauf der Monatsfrist ist jede Vollstreckungsmaßnahme aufgrund der einstweiligen Verfügung unzulässig.

Der dargestellte Inhalt der gesetzlichen Regelung und vor allem der zugrunde liegende Normzweck sprechen bereits dafür, dass aus der über 1 ½ Jahre alten einstweiligen Verfügung vom 19.11.2008 nicht mehr vollstreckt werden kann.

Die überwiegende Rspr. und h.M. modifiziert allerdings § 929 Abs. 2 ZPO bei einstweiligen Verfügungen, die auf ein Unterlassen gerichtet sind oder vergleichbare (nicht sofort vollstreckbare) Inhalte haben, in der Weise, dass innerhalb der genannten Frist eine Vollziehung durch Vollstreckung nicht erforderlich ist (eine solche käme bei einer Unterlassungsanordnung auch nur in Betracht, wenn vor Ablauf der Frist bereits eine Zuwiderhandlung vorläge). Es soll bei solchen einstweiligen Verfügungen ausreichen, aber auch ...

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