Leitsatz (amtlich)
An den Voraussetzungen für eine Verwerfung der Berufung des säumigen Angeklagten gem. § 329 StPO mangelt es, wenn dieser einem Irrtum über den Terminsbeginn unterlegen ist, dieses dem Gericht noch vor Ablauf der grds. ausreichenden Wartezeit von 15 Minuten ab Aufruf der Sache mitteilt bzw. mitteilen lässt, zugleich sein unverzügliches Erscheinen innerhalb einer angemessenen Zeitspanne ankündigt und eine Verhandlung der Sache trotz der sich daraus ergebenden Verzögerung angesichts der konkreten Terminsgestaltung ohne Schwierigkeiten möglich ist.
Normenkette
StPO §§ 45-46, 329
Verfahrensgang
LG Aurich (Entscheidung vom 04.10.2021; Aktenzeichen 16 Ns 43/21) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Landgerichts Aurich vom 4. Oktober 2021 aufgehoben.
Der Angeklagte wird auf seine Kosten in den Stand vor Versäumen der Berufungshauptverhandlung vor der 2. kleinen Strafkammer des Landgerichts Aurich vom 7. September 2021 wiedereingesetzt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Staatkasse auferlegt.
2. Das Urteil der 2. kleinen Strafkammer des Landgerichts Aurich vom 7. September 2021 und die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten sind gegenstandslos.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Wittmund hatte den Angeklagten am 4. Mai 2021 wegen Betruges zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Auf dessen Berufung beraumte die 2. kleine Strafkammer des Landgerichts Aurich den Hauptverhandlungstermin auf den 7. September 2021 um 11:30 Uhr an. Der zu diesem Termin ordnungsgemäß geladene Angeklagte erschien - im Gegensatz zu seiner Pflichtverteidigerin - bei Aufruf der Sache jedoch nicht. Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung wurde nach einem Telefonat der Pflichtverteidigerin mit dem Angeklagten um 11:35 Uhr festgestellt, dass der Angeklagte fälschlich von einem Sitzungsbeginn um 13:30 Uhr ausgegangen sei. Daraufhin wurde die Hauptverhandlung um 11:36 Uhr für zwei Minuten unterbrochen und bei erneutem Aufruf um 11:45 Uhr festgestellt, dass der Angeklagte noch immer nicht erschienen sei. Im Anschluss daran verwarf das Landgericht um 11:47 Uhr die Berufung des Angeklagten nach § 329 StPO.
In den Urteilsgründen wird ausgeführt, dass der Angeklagte am Terminstage ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben und nicht in zulässiger Weise vertreten worden sei. Der Umstand, dass er von einem Beginn um 13:30 Uhr ausgegangen sei, entschuldige ihn nicht.
Mit bei Gericht am 14. September 2021 eingegangenem Schreiben seiner Verteidigerin vom 13. September 2021 - soweit das Schreiben selbst einen Eingangsstempel des Landgerichts vom 14. Oktober 2021 trägt, dürfte es sich angesichts des weiteren Akteninhalts ersichtlich um einen Fehler der Wachtmeisterei handeln - beantragte der Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und legte zugleich - für den Fall der Verwerfung - Revision ein. Zur Begründung führte dieser aus, dass er sich in der Uhrzeit versehen habe. Er habe zudem durch seine Verteidigerin noch in der Hauptverhandlung erklären lassen, dass er sich unverzüglich auf den Weg machen und spätestens in 45 Minuten, also um 12:15 Uhr, bei Gericht eintreffen werde. Selbst unter Annahme einer insgesamt einstündigen Verspätung hätte die Berufungshauptverhandlung spätestens ab 12:30 Uhr durchgeführt werden können, zumal die nächste Sache am Terminstage erst auf 14:00 Uhr angesetzt worden sei.
Mit weiterem Schreiben vom 21. September 2021 reichte die Verteidigerin eine "eidesstattliche Versicherung" des Angeklagten zum Zwecke der Glaubhaftmachung zur Akte, in welcher der Angeklagte weitergehend ausführt, sich nach dem um 11:30 Uhr erfolgten Telefonat sofort ins Auto gestiegen und losgefahren zu sein. Unterwegs sei ihm gegen 11:50 Uhr in einem weiteren Telefonat seitens der Verteidigerin mitgeteilt worden, dass die Berufung inzwischen verworfen worden sei, woraufhin er wieder umgekehrt und nach Hause gefahren sei.
Mit der angefochtenen Entscheidung vom 4. Oktober 2021 verwarf die Kammer den Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet. Der Angeklagte habe sich selbst die Nichtbeachtung der korrekten Uhrzeit am Terminstage zuzuschreiben. Ein Zuwarten sei nicht zumutbar, zumal es ausgeschlossen erscheine, dass der Angeklagte innerhalb vertretbarer Zeiträume die Wegstrecke zwischen seine Wohnung in Ort1 und dem Terminsort Aurich innerhalb der angegebenen 45 Minuten hätte zurücklegen können. Laut einer Internetrecherche hätte er ohnehin mindestens 51 Minuten zuzüglich der Zeit für eine Parkplatzsuche aufwenden müssen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Angeklagte mit seiner sofortigen Beschwerde.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorbezeichneten Schriftsätze und Entscheidungen Bezug genommen.
II.
Das gem. § 329 Abs. 7, 46 Abs. 3 StPO statthafte und rechtzeitig erhobene Rechtsmittel ist begründet.
1.
Der Wiedereinsetzungsantrag ist zulässig.
a)
Dem steht der Sachvortrag der Verteidigung im W...