Leitsatz (amtlich)

1. Das Gericht ist im Verfahren über die Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe nach den §§ 117 ZPO bei der Prüfung der Bedürftigkeit analog § 16 Abs. 3 SGB-I verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass klare und sachdienliche Anträge gestellt und unvollständige Angaben ergänzt werden.

2. Der Freibetrag für Alleinerziehende gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO i.V.m. §§ 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB-II, 30 Abs. 3 Nr. 2 SGB-XII ist von Amts wegen zu berücksichtigen. Weil er leicht übersehen werden kann, trifft das Gericht auch gegenüber anwaltlich vertretenen Beteiligten eine besondere Aufklärungs- und Hinweispflicht, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieses Freibetrages gegeben sind, auch wenn er in Abschnitt "J" der amtlichen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht ausdrücklich geltend gemacht wird.

3. Solche Anhaltspunkte liegen regelmäßig dann vor, wenn ein Elternteil - namentlich eine Mutter - allein zusammen mit einem oder mehreren Kindern in einem Haushalt lebt. Dies gilt erst recht, wenn Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz bezogen werden.

 

Normenkette

SGB I § 16 Abs. 3; SGB II § 21 Abs. 3 Nr. 2; SGB XII § 30 Abs. 3 Nr. 2; ZPO § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 4, §§ 117-119

 

Verfahrensgang

AG Oldenburg (Oldenburg) (Aktenzeichen 104 F 42/22 VKH1)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Oldenburg vom 6. April 2022 in der Fassung des Teilabhilfebeschlusses des Amtsgerichts vom 24. Mai 2022 unter Aufrechthaltung im Übrigen dahingehend abgeändert, dass keine Raten festgesetzt werden.

 

Gründe

I. Die gegen die Anordnung von Raten gerichtete zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat in der Sache Erfolg. Denn die Antragstellerin verfügt über kein einzusetzendes Einkommen im Sinne der §§ 115 Abs. 2 Satz 1 ZPO, 113 Abs. 1 FamFG, 112, 111 Nr. 1, 121 Nr. 1 FamFG, weil von dem durch das Amtsgericht - Familiengericht - errechneten Einkommen noch der Alleinerziehendenzuschlag gemäß §§ 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB-II, 30 Abs. 3Nr. 2 SGB-XII in Abzug zu bringen ist.

1. Wie das Amtsgericht - Familiengericht - im Ausgangspunkt zu Recht festgestellt hat, setzt sich das Einkommen der Antragstellerin aus einem durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommen in Gestalt von Krankengeld in Höhe von 826,20 Euro zuzüglich Wohngeld und Kindergeld zusammen. Zu Recht hat das Amtsgericht - Familiengericht - auch die Kosten der Unterkunft und Heizung, den Freibetrag für die Beteiligte selbst sowie die bei ihr lebende 15 Jahre alte Tochter unter Anrechnung von Unterhaltsvorschussleistungen in Abzug gebracht. Es ist auch nichts dagegen zu erinnern, dass das Amtsgericht - Familiengericht - im Verfahren über die Abhilfe der gegen die Festsetzung einer Rate von 50 Euro gerichteten sofortigen Beschwerde der Antragstellerin den Abzug einer weiteren Belastung akzeptiert hat. Das einzusetzende Einkommen hat das Amtsgericht - Familiengericht - auf der Grundlage dieses Ansatzes rechnerisch zutreffend mit 56,93 Euro errechnet und in Anwendung des § 115 Abs. 2 Satz 1 ZPO folgerichtig eine monatliche Rate von 28 Euro festgesetzt.

2. Jedoch reduziert sich das einzusetzende Einkommen um einen weiteren Betrag von 53,88 Euro, weil der Antragstellerin als alleinerziehendem Elternteil auch ein Freibetrag nach § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO in Verbindung mit §§ 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB-II, 30 Abs. 3 Nr. 2 SGB-XII zusteht. Aus dem verbleibenden Einkommen von nur noch rund 3 Euro muss sie keine Raten zahlen.

Dies ergibt sich aus Folgendem:

a) Nach Einführung der Vorschrift des § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO durch das Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts v. 31.8.2013 (BGBl. I 3533) sind seit dem 1. Januar 2014 auch die Mehrbedarfe im Sinne der §§ 21 SGB-II, 30 SGB-XII vom Einkommen abzuziehen. Hinter diesen sozialrechtlichen Vorschriften verbergen sich nicht nur Freibeträge für Schwangere und Menschen mit Einschränkungen im Sinne einer Behinderung, sondern auch der sogenannte Alleinerziehendenfreibetrag gemäß § 21 Abs. 3 SGB-II. Die frühere höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach die nach § 21 SGB-II gewährte Pauschale für die mit der alleinigen Erziehung und Betreuung eines im eigenen Haushalt lebenden Kindes verbundenen Mehrbelastungen zwar als Einkommen, nicht aber als Belastung anzuerkennen waren (vgl. noch BGH, Beschluss vom 5. 5. 2010 - XII ZB 65/1, NJW-RR 2011, 3-5), ist damit überholt.

Gleichwohl wird dieser Freibetrag in der gerichtlichen Praxis nach den Erfahrungen des Senats gelegentlich übersehen, obwohl er namentlich in familiengerichtlichen Kindschafts- und Unterhaltssachen nach Trennung der Eltern zugunsten des alleinerziehenden und finanziell meist schlechter gestellten Elternteils - in der Regel nach wie vor die Mutter -regelmäßig zur Anwendung kommen müsste.

Zum einen wird dieser Freibetrag in dem amtlichen Formular über die Erklärung d...

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