Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrenskostenhilfe: Nur hälftige Anrechnung der Kinderfreibeträge bei paritätischem Wechselmodell

 

Leitsatz (amtlich)

Betreuen Eltern ihre Kinder in einem paritätischen Wechselmodell können im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe die Kinderfreibeträge nach § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 2b ZPO jeweils nur hälftig von dem bedürftigen Elternteil in Anspruch genommen werden (entgegen OLG Dresden FamRZ 2016, 253).

 

Normenkette

ZPO § 115

 

Verfahrensgang

AG Gießen (Beschluss vom 02.06.2020; Aktenzeichen 247 F 558/20)

 

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin begehrt Verfahrenskostenhilfe für ein Scheidungsverfahren. Aus ihrer Ehe sind drei Kinder im Alter zwischen 8 und 12 Jahren hervorgegangen, die im paritätischen Wechselmodell von ihr und dem Antragsgegner betreut werden. Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Amtsgericht der Antragstellerin Verfahrenskostenhilfe bewilligt und eine auf die Verfahrenskosten zu zahlende Rate in Höhe von 232 Euro festgesetzt. Dabei hat es vom einzusetzenden Einkommen der Antragstellerin den Unterhaltsfreibetrag für die gemeinsamen Kinder der Beteiligten jeweils nur zur Hälfte berücksichtigt. Ferner hat es den Mehrbedarf für Alleinerziehende nach § 21 Abs. 3 SGB II in voller Höhe in Abzug gebracht.

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Antragstellerin gegen die Höhe der festgesetzten Raten insofern, als sie die Berücksichtigung des Unterhaltsfreibetrags für die drei Kinder jeweils in voller Höhe begehrt, was zu einem einzusetzenden Einkommen in Höhe von 83 Euro und damit zu einer Rate von 42 Euro führen würde.

II. Die gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, §§ 127, 567 ff ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Einzelrichterin hat nach § 568 S. 2 Nr. 2 ZPO das Verfahren zur Entscheidung dem Senat übertragen.

Soweit das Amtsgericht die Unterhaltsfreibeträge für die minderjährigen Kinder der Antragstellerin jeweils nur mit dem hälftigen Betrag in Ansatz gebracht hat, ist dies nicht zu beanstanden.

Nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, § 115 Abs. 1 Nr. 2b ZPO ist vom Einkommen ein pauschaler Freibetrag bei Unterhaltsleistungen aufgrund gesetzlicher Unterhaltspflicht für jede unterhaltsberechtigte Person in Abzug zu bringen. Grundlage für die Höhe des Freibetrags sind die Bedarfssätze gemäß § 28 SGB XII. Der Unterhaltsfreibetrag für Kinder vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahrs beläuft sich derzeit auf 358 Euro.

Umstritten ist, ob der Unterhaltsfreibetrag gemäß § 115 Abs. 1 Nr. 2b ZPO für ein minderjähriges Kind, das im paritätischen Wechselmodell abwechselnd im Haushalt beider Eltern betreut wird, jedem Elternteil in voller Höhe zu gewähren ist oder nur hälftig zu berücksichtigen ist.

Die Vertreter der Auffassung, die jedem Elternteil den vollen Kinderfreibetrag zubilligen, wenn das Kind im Wechselmodell paritätisch abwechselnd in den Haushalten beider Eltern betreut wird (OLG Dresden FamRZ 2016, 253; Zöller/Schultzky, ZPO, 33. Auflage, § 115 Rz. 36; Wache, MüKoZPO/Wache, 6. Aufl. 2020, ZPO § 115 Rn. 42), argumentieren damit, dass auch im Falle eines Kindes, das bei intakter Ehe im gemeinsamen Haushalt seiner Eltern lebt, die beide über Erwerbseinkommen verfügen und insoweit auch beide dem Kind betreuungs- und barunterhaltspflichtig sind, nach der h. M. jeder Elternteil aufgrund der gesetzlichen Pauschalierung den vollen Freibetrag nach § 115 Abs. 1 Nr. 2b ZPO in Anspruch nehmen könne, wobei dies nicht unumstritten ist (vgl. zum Streitstand OLG Hamm MDR 2007, 973).

Nach anderer Auffassung kann der Freibetrag beim paritätischen Wechselmodell jedem Elternteil nur hälftig zugutekommen, da zu berücksichtigen sei, dass in den Zeiträumen, in denen der eine Elternteil für die Pflege und Erziehung des Kindes in seinem Haushalt sorgt und die Unterhaltsaufwendungen trägt, der andere Elternteil entsprechend entlastet ist (vgl. Christl in FamRZ 2016, 959 und RPfleger 2018, 241; Staudinger/Dürbeck (2019) BGB § 1684 Rn. 270). Die abwechselnde Kinderbetreuung in getrennten Haushalten sei im Übrigen nicht mit der gemeinsamen Betreuung in einer intakten Familie gleichzusetzen (Christl, aaO).

Der Senat folgt der zuletzt genannten Auffassung. Die Vorschrift des § 115 Abs. 1 Nr. 2b ZPO kommt zur Anwendung, wenn der Antragsteller eines Verfahrenskostenhilfegesuchs aufgrund gesetzlicher Unterhaltspflicht Unterhalt leistet. Hauptanwendungsfall ist die Gewährung von Kindesunterhalt. Soweit der Kindesunterhalt in Form von Betreuungsunterhalt geleistet wird, ist der Kinderfreibetrag vom einzusetzenden Einkommen des betreuenden Elternteils in Abzug zu bringen. Wird Barunterhalt geleistet, so ist der Unterhaltsbetrag statt des Freibetrags abzusetzen, § 115 Abs. 1 Satz 8 ZPO.

Die Unterhaltspauschalen nach § 115 Abs. 1 Nr. 2a und 2b ZPO erfassen die allgemeinen und im Rahmen des Üblichen liegenden Kosten der Lebensführung. Dazu gehören vornehmlich Kosten für Ernährung, Körperpflege, Kleidung, Stromkos...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?