Leitsatz (amtlich)
›Bei der Entscheidung über den Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung wegen neuer Straftaten des Verurteilten ist keine Verhältnismäßigkeitsprüfung in Hinblick auf andere Bewährungswiderrufe vorzunehmen.‹
Verfahrensgang
LG Osnabrück (Entscheidung vom 01.02.2006; Aktenzeichen 15 BRs 131/04) |
Gründe
Der schon häufig vorbestrafte Verurteilte ist am 4. Mai 2004 vom Amtsgericht Lingen u.a. wegen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. In der Bewährungszeit hat er zwei weitere Straftaten begangen und ist deshalb rechtskräftig zu einer Geldstrafe und zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft hat wegen dieser neuen Straftaten den Widerruf der Strafaussetzung beantragt. Dies hat das Landgericht Osnabrück - Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht Lingen - mit dem angefochtenen Beschluss vom 1. Februar 2006 abgelehnt und statt eines Bewährungswiderrufs die Bewährungszeit um 1 1/2 Jahre verlängert. Am selben Tage hat die Strafvollstreckungskammer allerdings in zwei anderen Strafsachen, in denen der Verurteilte wegen der jeweiligen Strafreste ebenfalls unter Bewährung stand, die Strafaussetzung wegen der erwähnten neuen Straftaten widerrufen.
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig. Sie ist auch begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zum Widerruf der Strafaussetzung.
Die Strafaussetzung ist nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB zu widerrufen, weil der Verurteilte innerhalb der Bewährungszeit weitere Straftaten begangen und dadurch die in ihn gesetzte Erwartung, er werde sich auch ohne Vollstreckung der Strafe zukünftig straffrei führen, nicht erfüllt hat. Mildere Maßnahmen als der Widerruf der Strafaussetzung reichen unter Berücksichtigung aller Umstände schon wegen der vielen Vorstrafen und des früheren Bewährungsversagens des Verurteilten nicht im Sinne von § 56f Abs. 2 Satz 1 StGB aus.
Die Strafvollstreckungskammer hat ihre abweichende Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, ein Widerruf der Strafaussetzung sei unverhältnismäßig, weil der Verurteilte ohnehin, u.a. wegen der gleichzeitig in den anderen Verfahren widerrufenen Strafaussetzungen, noch lange Zeit im Strafvollzug verbringen werde, so dass er wegen seiner neuen Straftaten auch dann schon schwerwiegende Folgen zu tragen habe, wenn in dieser Sache von einem Bewährungswiderruf abgesehen werde.
Diese Erwägung wird dem gesetzlichen Wertungsmaßstab nicht gerecht. Der Widerruf einer Strafaussetzung wegen einer in der Bewährungszeit begangenen neuen Straftat nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB ist alleinige Folge des eigenen Handelns des Verurteilten, der zeigt, dass die in ihn mit der Strafaussetzung gesetzte Erwartung straffreier Führung sich gerade nicht erfüllt hat. Deshalb ist es verfehlt, einen Bewährungswiderruf in Hinblick auf - ebenfalls allein vom Verurteilten hervorgerufene - andere Strafvollstreckungen wegen einer Unverhältnismäßigkeit der voraussichtlichen Gesamtverbüßungsdauer abzulehnen, vgl. Lembert NJW 2001, 3528. Der im entgegengesetzten Sinne vom OLG Zweibrücken (MDR 1989, 477) entschiedene Fall weist Besonderheiten auf, die hier nicht vorliegen. Jedenfalls für andere Fälle wäre dem OLG Zweibrücken aber auch nicht zu folgen, weil dies der gesetzlichen Struktur des Bewährungswiderrufs widerspräche. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung ist schon bei der Verurteilung in Gestalt der Strafzumessung durchgeführt worden. Nach der Gewährung einer Strafaussetzung zur Bewährung liegt der weitere Ablauf in der Hand des Verurteilten. Wenn er sich - über die Folgen belehrt - bewusst zu weiteren Straftaten entschließt und dadurch zeigt, dass sich die in ihn gesetzte Erwartung nicht erfüllt hat, und wenn auch mildere Maßnahmen nicht ausreichen, ist infolge seines eigenen Tuns die - unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausgeurteilte - Strafe zu vollstrecken.
Auch bei der Prüfung, ob andere Mittel im Sinne von § 56f Abs. 2 Satz 1 StGB ausreichen, ist nicht auf eine Verhältnismäßigkeit in dem von der Strafvollstreckungskammer gesehenen Sinn abzustellen. Diese Frage ist vielmehr allein danach zu beurteilen, ob bei Würdigung aller Umstände andere Maßnahmen genügen, um der Gefahr weiterer Straftaten zu begegnen, obwohl die Strafaussetzung zunächst misslungen ist und deshalb die Widerrufsvoraussetzungen vorliegen, vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 53. Auflage, § 56f Rdn 14. Dass andere Maßnahmen nicht genügen, hat die Strafvollstreckungskammer in den beiden anderen Verfahren - zutreffend - entschieden und dort deshalb die Strafaussetzungen widerrufen. Die Frage, ob mildere Maßnahmen als der Widerruf genügen, kann aber aufgrund desselben Sachverhalts nicht in verschiedenen Verfahren gleichzeitig unterschiedlich beantwortet werden.
Die angefochtene Entscheidung lässt sich auch nicht im Sinne einer vorweggenommenen künftigen Prognoseentscheidung rechtferti...