Leitsatz (amtlich)

Hat ein Amtsrichter nach § 48 ZPO Tatsachen angezeigt, die seine Ablehnung rechtfertigen könnten, so hat hierüber stets ein anderer Richter des AG nach § 45 Abs. 2 S. 1 ZPO zu entscheiden. Dies gilt auch, wenn auf die Anzeige eine der Parteien ein Ablehnungsgesuch stellt. § 45 Abs. 2 S. 2 ZPO ist in diesen Fällen nicht anwendbar.

 

Verfahrensgang

AG Nordenham (Aktenzeichen 4 F 424/09 UK)

 

Tenor

Zuständig für das Verfahren ist Frau Direktorin des AG Dr. Peplau.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin hat Verfahrenskostenhilfe für die Verfolgung eines Anspruchs auf Kindesunterhalt beantragt. Die nach dem richterlichen Geschäftsverteilungsplan für dieses Gesuch zuständige Direktorin des AG hat den Antrag dem Antragsgegner zugeleitet und beiden Parteien unter näherer Darlegung der Gründe angezeigt, dass sie als befangen angesehen werden könne.

Die Bevollmächtigte der Antragstellerin hat daraufhin mit Schriftsatz vom 10.12.2009 die Abgabe des Verfahrens wegen Besorgnis der Befangenheit der Richterin beantragt, zugleich jedoch ausgeführt, ein Misstrauen gegen die Richterin sei damit nicht verbunden. Die Direktorin des AG hat den Schriftsatz als Befangenheitsgesuch aufgefasst und dieses am 14.12.2009 in einem Aktenvermerk für begründet erklärt. Sie hat die Sache ihrem geschäftsplanmäßigen Vertreter (Dezernat III) vorgelegt.

Dieser hat das Verfahren dem Dezernenten II zugeleitet, der für Entscheidungen über Ablehnungsgesuche gegen die Direktorin des AG zuständig ist. Er hat eine Entscheidung in der Sache mit der Begründung abgelehnt, die Direktorin habe das Ablehnungsgesuch bereits gem. § 45 Abs. 2 Satz 2 ZPO für begründet erklärt. Er hat das Verfahren wieder dem Dezernenten III zugeleitet, der es dem Senat zur Bestimmung des zuständigen Familienrichters vorgelegt hat.

II. Auf die Vorlage des Familienrichters ist in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG die Direktorin des AG als - derzeit - zuständige Richterin zu bestimmen.

Die Vorschrift des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist bei Streitigkeiten über die Zuständigkeit innerhalb eines Gerichts entsprechend anzuwenden (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1989, 518 f.; Zöller, Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 36 Rz. 29). Eines Antrags der Parteien bedarf es, wie das AG im Vorlagebeschluss vom 8.2.2010 zutreffend ausgeführt hat, nicht.

Zutreffend geht der vorlegende Richter weiter davon aus, dass er zumindest derzeit nicht zuständig ist. Der Geschäftsverteilungsplan weist die Streitigkeit der Direktorin des AG zu. Diese Zuständigkeit besteht fort. Die Richterin ist nicht wegen Besorgnis der Befangenheit aus dem Rechtsstreit ausgeschieden.

Eine dazu erforderliche Entscheidung gem. § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO des Dezernenten II ist nicht ergangen. Sie ist auch nicht ausnahmsweise entbehrlich, weil die Direktorin des AG ein Gesuch gem. § 45 Abs. 2 Satz 2 ZPO für begründet erklärt hätte.

Es erscheint schon zweifelhaft, ob der Schriftsatz der Antragstellervertreterin vom 12.1.2010 als Ablehnungsgesuch i.S.d. § 44 ZPO anzusehen ist. Mit dem Schreiben ist die zuständige Richterin zumindest nicht ausdrücklich abgelehnt, sondern lediglich die Abgabe des Verfahrens beantragt worden, wobei klarstellt worden ist, dass ein Misstrauen gegen die Direktorin des AG gerade nicht bestehe.

Selbst wenn man den Schriftsatz als Ablehnungsgesuch auffasst, so fehlt es aber jedenfalls an einer wirksamen Entscheidung gem. § 45 Abs. 2 Satz 2 ZPO hierüber.

Zum einen war die Direktorin des AG gehindert, über ein solches Gesuch selbst zu entscheiden, weil sie zuvor ein Selbstablehnungsverfahren gem. § 48 ZPO eingeleitet hatte (vgl. Zöller, Vollkommer, ZPO, § 45 Rz. 7; Münchener Kommentar, Gerlein, ZPO, 3. Aufl., § 45 Rz. 7). Die Einleitung des Verfahrens erfolgt durch eine Selbstanzeige der Richterin. Diese ist in der Verfügung vom 25.11.2009 zu sehen, auch wenn sie nicht mit der Vorlage des Verfahrens an den Dezernenten II verbunden worden ist.

Darüber hinaus erweist sich die Entscheidung der Direktorin vom 14.12.2009 als unwirksam, weil sie unter Verletzung des Anspruchs des Antragsgegners auf Gewährung rechtlichen Gehörs zustande gekommen ist. Auch bei einer Selbstentscheidung des abgelehnten Richters gem. § 45 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist zwingend das Recht der Parteien auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu beachten. Vor einer Entscheidung haben die abgelehnten Richter das Ablehnungsgesuch daher dem Gegner mit Gelegenheit zur Stellungnahme zur Kenntnis zu geben (OLG Frankfurt, FamRZ 1998, 378). Indem die Direktorin das Ablehnungsgesuch der Antragstellerin ohne Beteiligung des Antragsgegners für begründet erklärt hat, hat sie dessen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt mit der Folge, dass ihre Entscheidung wegen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz unwirksam ist (vgl. OLG Frankfurt, FamRZ 1998, 378).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2306090

MDR 2010, 651

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