Leitsatz (amtlich)

Die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe in einer Ehesache erstreckt sich auch auf außergerichtlich geschlossene Vergleiche über Folgesachen nach § 48 Absatz 3 RVG (Anschluss an OLG Bamberg, Beschluss vom 10.06.2021 - 2 WF 61/21; abweichend von OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15.10.2007, - 18 WF 104/06)

 

Normenkette

RVG § 48 Abs. 3

 

Verfahrensgang

AG Nordhorn (Aktenzeichen 11 F 754/22)

 

Tenor

I. Die Sache wird dem Senat in der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung übertragen (§ 568 S. 2 Nr. 2 ZPO).

II. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Nordhorn vom 25.04.2023 geändert und die Beiordnung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin in der Ehesache auf die Herbeiführung der notariellen Vereinbarung vom 16.03.2023 erstreckt.

 

Gründe

I. Der Antragsgegnerin ist Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten für die Ehesache bewilligt worden. Als Folgesache war nur der Versorgungsausgleich anhängig. Nachdem das Amtsgericht Termin in der Ehesache bestimmt hatte, reichte der Verfahrensbevollmächtigte des Ehemanns mit Schriftsatz vom 23.03.2023 eine Ablichtung eines notariellen Trennungs- und Scheidungsfolgenvertrags vom 16.03.2023 ein und teilte mit, dass die Beteiligten die Zugewinngemeinschaft beendet und eine Vermögensauseinandersetzung herbeigeführt hätten. Außerdem sei wechselseitig auf Ehegattenunterhalt nach der Scheidung verzichtet worden und die Folgesachen somit einer abschließenden Regelung zugeführt worden. Die Verfahrensbevollmächtigte der Ehefrau bestätigte mit Schriftsatz vom 03.04.2023 den Abschluss der Vereinbarung und beantragte, die Verfahrenskostenhilfebewilligung auf die Scheidungsfolgenvereinbarung zu erstrecken. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 04.04.2023 wurden die Eheleute zur Scheidung angehört. Darüber hinaus gaben sie an, sich auch über das Sorge- und Umgangsrecht geeinigt zu haben. Außerdem erfolgte im Termin die Erörterung der Auskünfte der Versorgungsträger. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung wurde der Scheidungsbeschluss verkündet. Die Beteiligten verzichteten umfassend auf Rechtsmittel gegen die Entscheidung.

Mit Beschluss vom 25.04.2023 wies das Amtsgericht den Antrag der Antragsgegnerin auf Erstreckung der Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe auf die Scheidungsfolgenvereinbarung zurück. Zur Begründung führte es aus, dass sich die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe für die Ehesache kraft Gesetzes nur auf den Versorgungsausgleich erstrecke. Die weiteren Folgesachen seien in einem notariellen Vertrag geregelt worden und damit nicht Verfahrensgegenstand geworden. Ein Anspruch auf Erweiterung der Bewilligung folge auch nicht aus § 48 Abs. 3 RVG. Es sei streitig, ob der in der Ehesache beigeordnete Anwalt für die Erledigung einer Folgesache durch außergerichtlichen Vergleich Anspruch auf Erstattung einer Einigungsgebühr gegenüber der Landeskasse habe, ohne dass es darauf ankomme, ob die Folgesache im gerichtlichen Verfahren anhängig sei. Das Amtsgericht folge der Auffassung, dass die Vorschrift die Beiordnung nur auf anhängige Folgesachen erstrecke. Der Gesetzgeber hätte bei der Neuregelung des § 48 Abs. 3 RVG die seit langem streitige Rechtsfrage entscheiden und Klarheit schaffen können. Dies sei nicht geschehen, so dass die Regelung nur für unter Mitwirkung des Gerichts erfolgte Vereinbarungen gelte.

Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Antragsgegnerin ihren Antrag auf Erstreckung der Beiordnung weiter. Sie trägt vor, dass sich bereits aus dem Gesetzestext ergebe, dass der Gesetzgeber die Vergütung von außergerichtlichen Einigungen einbeziehen wolle, indem sich § 48 Abs. 3 RVG auf Einigungen nach Nr. 1000 des Vergütungsverzeichnisses beziehe. Diese betreffe außergerichtliche Einigungen, während gerichtliche Einigungen der Nr. 1003 des Vergütungsverzeichnisses unterfielen.

Die Bezirksrevisorin hat sich der Auffassung des Amtsgerichts angeschlossen. Ergänzend hat sie angegeben, es sei zu berücksichtigen, dass die Einreichung der notariellen Urkunde im gerichtlichen Verfahren allein der Sicherung des Gebührenanspruchs des im Scheidungsverfahren beigeordneten Rechtsanwalts diene. Durch sie erwerbe er einen höheren Gebührenanspruch als der nicht beigeordnete Anwalt. Die Vergütung sei zwar zunächst aus der Landeskasse zu zahlen; bei Vermögenserwerb oder Verbesserung der Einkommensverhältnisse sei sie jedoch von der Vkh-Partei der Landeskasse bzw. dem beigeordneten Anwalt zu erstatten.

II. Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 76 Abs. 2 FamFG i.V.m. §§ 127, 567 ff. ZPO zulässig. Ob sich die Beiordnung in der Ehesache gemäß § 48 Abs. 3 RVG auf Vereinbarungen im notariellen Vertrag vom 16.03.2023 erstreckt, folgt zwar unmittelbar aus dem Gesetz. Im positiven Fall bedürfte es keiner entsprechenden gerichtlichen Anordnung. Die Beschwerdeführerin ist durch die ablehnende Entscheidung des Amtsgerichts aber bereits unmittelbar beschwert. Denn nach dem Grundsatz ge...

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