Leitsatz (amtlich)
Besteht oder bestand zwischen dem im Haftungsprozess in Anspruch genommenen Arzt und dem gerichtlichen Sachverständigen eine intensive ärztliche Zusammenarbeit der Art, dass der Arzt über viele Jahre fortlaufend Patienten mit speziellen Erkrankungen zur Operation an den Sachverständigen überweisen hat, so ist dieser Umstand aus der Sicht des Patienten geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen.
Verfahrensgang
LG Osnabrück (Beschluss vom 26.04.2007; Aktenzeichen 2 O 3939/04) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Osnabrück vom 26.4.2007 aufgehoben und das Befangenheitsgesuch gegen den Sachverständige Prof. Dr. S. für begründet erklärt.
Gründe
Die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 10.5.2007 (Bl. 92 d.A.) ist gemäß den §§ 406 Abs. 5, 567 Abs. 1 ZPO zulässig und in der Sache begründet. Für die Annahme einer Besorgnis der Befangenheit genügt jede Tatsache, die ein auch nur subjektives Misstrauen der Partei in die Unparteilichkeit des Sachverständigen vernünftigerweise rechtfertigen kann (Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., § 406 Rz. 8). Diese Voraussetzungen liegen vor.
1. Dabei kann dahinstehen, ob die Äußerungen des Sachverständigen über den Privatgutachter der Klägerin (dazu: OLG Frankfurt v. 2.2.2006 - 8 W 104/05, GesR 2006, 217, 218), seine Reaktionen auf die zum Teil wenig substantiierten Behauptungen der Klägerin oder die - eine Befangenheit grundsätzlich nicht begründenden (BGH v. 15.3.2005 - VI ZB 74/04, BGHReport 2005, 1004 = MDR 2005, 1007 = GesR 2005, 327, 329; Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, 28. Aufl., § 406 Rz. 3; Baumbach/Lauterbach-Hartmann, ZPO, 65. Aufl., § 406 Rz. 9) - angeblichen oder tatsächlichen "Unzulänglichkeiten" des Gutachtens im vorliegenden Fall eine Ablehnung rechtfertigen könnten.
Aus Sicht der Klägerin besteht im vorliegenden Fall nämlich eine Zusammenarbeit zwischen dem Sachverständigen und dem Beklagten zu 1), welche die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt. Zwar lässt nicht jeder geschäftliche oder persönliche Kontakt bereits befürchten, dass ein Sachverständiger einen gerichtlichen Gutachtenauftrag nicht mehr objektiv und unvoreingenommen bearbeiten kann (vgl. Zöller/Greger, a.a.O., § 406 Rz. 9 m.w.N.). So lässt beispielsweise nicht allein die Begegnung auf Fachkongressen oder der wissenschaftliche Austausch für sich genommen den Rückschluss zu, der Sachverständige habe nicht mehr die nötige Distanz zur kritischen Beurteilung der Tätigkeit eines Kollegen (OLG München v. 27.10.2006 - 1 W 2277/06, OLGReport München 2007, 235 = NJW-RR 2007, 575). Entsprechende Kontakte im wissenschaftlichen Bereich sind selbstverständlich und deuten nicht ohne weiteres auf persönliche Kontakte hin, die geeignet wären, die Unparteilichkeit des Gutachters in Frage zustellen (vgl. OLG Düsseldorf MedR 2005, 42, LG Berlin v. 28.11.2005 - 6 O 58/03, GesR 2006, 115 m. Anm. Korioth). Über derartige Kontakte geht aber die Beziehung zwischen dem Sachverständigen und dem Beklagten zu 1) offensichtlich hinaus. Der Sachverständige hat erstmals in seiner Stellungnahme vom 2.3.2007 (Bd. II Bl. 69 d.A.) mitgeteilt, dass zu "Herrn Dr. S. meinerseits eine seit Jahren (sicherlich über mehr als 25 Jahre) bestehende kollegiale Beziehung (existiere). Eine ärztlich wissenschaftliche intensive Zusammenarbeit ist wegen meiner Spezialisierung hinsichtlich der Schädenbasistumore gepflegt worden, insofern als dass spezielle Patienten durch Herrn Dr. S. an mich für die Operation verwiesen worden sind." Eine solche jahrzehntelange Zusammenarbeit legt aber aus verständiger Sicht der Klägerin eine von Wertschätzung getragene Beziehung zwischen dem Sachverständigen und dem Beklagten zu 1) nahe, die über den bloßen Austausch wissenschaftlicher Ansichten hinausgeht. Deshalb ist es auch in Rechtsprechung (vgl. OLG Köln v. 10.10.1988 - 27 W 31/88, VersR 1989, 210, 211) und Literatur (Bayerlein-Franzki, Praxishandbuch des Sachverständigenrechts, 2. Aufl. S. 840) als ein die Unabhängigkeit des Sachverständigen gefährdender Gesichtspunkt angesehen worden, wenn der betroffene Arzt regelmäßiger "Zulieferer" der Klinik des Sachverständigen ist. Es kommt hinzu, dass der Sachverständige die langjährige Zusammenarbeit erst offenbarte, nachdem die Klägerin im Schriftsatz vom 7.2.2007 einen engen persönlichen Kontakt behauptete, anstatt sie unverzüglich nach seiner Beauftragung in einer schriftlichen Selbstanzeige mitzuteilen (vgl. Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl., § 19 Rz. 17; Beyerlein-Franski, a.a.O., § 19 Rz. 17). Hierdurch wird für die Klägerin der Eindruck erweckt, der Sachverständige habe die Beziehung verheimlichen wollen.
2. Entgegen der Auffassung des LG ist das Ablehnungsgesuch der Klägerin auch nicht verspätet. Muss sich die Partei zur Begründung ihres Ablehnungsantrags mit dem Inhalt des Gutachtens auseinandersetzen, läuft die Frist zur Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit im A...