Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablehnung eines Richters im Strafverfahren: Bedeutung schriftlicher und mündlicher Urteilbegründung im Rahmen der Vorbefassung sowie Anordnung einer Schweigeminute im Vorprozess

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Bedeutung schriftlicher und mündlicher Urteilsbegründung im Rahmen einer Vorbefassung sowie der Anordnung einer Schweigeminute im Vorprozess für das Vorliegen einer Besorgnis der Befangenheit seitens des jetzigen Angeschuldigten.

 

Normenkette

StPO §§ 24, 238

 

Verfahrensgang

LG Oldenburg (Entscheidung vom 06.07.2020; Aktenzeichen 5 Ks 23/19)

 

Tenor

Die sofortigen Beschwerden der Angeschuldigten BB, AA, CC und DD gegen den Beschluss der 5. Großen Strafkammer des Landgerichts Oldenburg vom 6. Juli 2020,

durch den ihre auf Ablehnung des Vorsitzenden Richters am Landgericht (...), der Richter am Landgericht (...) und (...) sowie der Richterin (...) wegen der Besorgnis der Befangenheit gerichteten Anträge als unbegründet zurückgewiesen worden sind,

werden auf ihre Kosten als unbegründet verworfen.

 

Gründe

I.

Die Ablehnungsanträge stehen im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Vorsitzenden Richters am Landgericht (...) sowie der Richter am Landgericht (...) und (...) in dem Strafverfahren gegen FF wegen Mordes an Patienten der Kliniken GG und HH, in welchen FF als Pfleger tätig war (Az. 5 Ks 800 Js 54254/17 (1/18)), sowie der Befassung des Vorsitzenden Richters am Landgericht (...) mit den vorangegangenen Verfahren gegen FF wegen versuchten Mordes an Patienten des Klinikums HH und GG (Az. 5 Ks 800 Js 35484/05 (1/07) und 5 Ks 800 Js 43144/10 (1/14)).

Den nunmehr in diesem Verfahren Angeschuldigten AA, BB, CC, DD und EE wird mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Oldenburg vom September 2019 vorgeworfen, in Ort1 und Ort2 in der Zeit vom TT.MM 2002 bis zum TT.MM 2005 jeweils durch Unterlassen Morde sowie versuchte Morde durch FF ermöglicht zu haben, indem sie es billigend in Kauf nahmen und nichts dagegen unternahmen, dass FF Patienten durch Injektion verschiedener Medikamente, insbesondere Kalium, tötete.

Die 5. Große Strafkammer hat das Hauptverfahren bislang noch nicht eröffnet, sondern zunächst rechtliche und tatsächliche Hinweise erteilt. Die Angeschuldigten haben hierzu sowie zu der Eröffnung des Hauptverfahrens umfangreiche Stellungnahmen abgegeben.

Die Angeschuldigten AA, DD und CC haben daneben geltend gemacht, dass der Vorsitzende Richter am Landgericht (...) sowie die Richter am Landgericht (...) und (...) aufgrund ihrer Vortätigkeit von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes entsprechend § 22 StPO ausgeschlossen seien. Ihre auf Feststellung dieses gesetzlichen Ausschlusses gerichteten Anträge hat die 5. Große Strafkammer - ohne Beteiligung der betroffenen Richter - mit Beschluss vom 27. Februar 2020 für unbegründet erklärt. Die hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerden hat der Senat mit Beschluss vom 14. Mai 2020 (Az. 1 Ws 140/20, juris) als unbegründet verworfen. Wegen der Einzelheiten des Anklagevorwurfs, der auf Feststellung des gesetzlichen Ausschlusses der Richter gerichteten Anträge sowie deren Bescheidung und wegen der Details des Beschwerdeverfahrens wird auf die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Oldenburg, die Antragsschriften der Angeschuldigten, den Kammerbeschluss vom 27. Februar 2020, die hiergegen gerichteten Beschwerdeschriften und den Senatsbeschluss vom 14. Mai 2020 verwiesen.

Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist nunmehr die Ablehnung des Vorsitzenden Richters am Landgericht (...) sowie der Richter am Landgericht (...) und (...) durch die Angeschuldigten DD, BB, CC und AA wegen der Besorgnis der Befangenheit gemäß § 24 StPO. Die Angeschuldigte DD hat darüber hinaus die der 5. Großen Strafkammer mittlerweile nicht mehr zugehörige Richterin (...) abgelehnt.

Mit der Ablehnung beanstanden die Angeschuldigten insbesondere das Verhalten des Vorsitzenden Richters am Landgericht (...) im Laufe der vorangegangenen Verfahren gegen FF, etwa dessen Auftreten gegenüber Zeugen und der Öffentlichkeit, sowie dessen Vorgehen in dem vorliegenden Verfahren; ihm wird ein Mangel an gebotener Neutralität vorgeworfen. Hinsichtlich der weiteren abgelehnten Richter wird im Wesentlichen auf deren Vortätigkeit verwiesen, welche einer unvoreingenommenen Beweiswürdigung in dem vorliegenden Verfahren schon per se entgegenstehe. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der jeweiligen, im angefochtenen Beschluss aufgeführten Ablehnungsanträge der Angeschuldigten verwiesen.

Zu den Anträgen haben sich die abgelehnten Richter im Sinne von § 26 Abs. 3 StPO dienstlich geäußert. Auf diese schriftlichen Äußerungen, welche wiederum mit Gelegenheit zur ergänzenden Stellungnahme der Verteidigung übersandt worden sind, wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

Mit angefochtenem Beschluss vom 6. Juli 2020 hat die Vertreterkammer der 5. Großen Strafkammer die auf Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit gerichteten Anträge der Angeschuldigten AA, DD, BB und CC für unbegründet erklär...

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