Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Statthaftigkeit und zu den formellen Anforderungen eines Besetzungseinwands nach § 222b Abs. 1 StPO in laufender Hauptverhandlung. Strafrecht. Strafprozessrecht. Besetzungsmitteilung. Besetzungseinwand
Leitsatz (amtlich)
1. Der Besetzungseinwand nach § 222b Abs. 1 StPO ist ausschließlich auf die Besetzungsmitteilung nach § 222a Abs. 1 StPO bezogen, bei der es sich um die spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung erfolgende Mitteilung der Besetzung des Gerichts unter Hervorhebung des Vorsitzenden und gegebenenfalls hinzugezogener Ergänzungsrichter und Ergänzungsschöffen handelt.
2. Ein Besetzungseinwand nach § 222b Abs. 1 StPO ist nicht statthaft, soweit lediglich solche Änderungen gerügt werden, die nach der in § 222b Abs. 1 S. 1 StPO bestimmten Frist von einer Woche nach Zustellung der Besetzungsmitteilung nach § 222a Abs. 1 StPO oder ihrer Bekanntmachung in der Hauptverhandlung eingetreten sind. Dies schließt auch die Rüge der Fehlerhaftigkeit einer Besetzung aus, die sich aus dem späteren Ausscheiden eines Schöffen und dem Eintreten eines Ergänzungsschöffen infolge einer Befangenheitsablehnung gegen den ursprünglichen Schöffen ergibt.
3. In Bezug auf erst nach dem Zeitpunkt der Rügepräklusion nach § 222b Abs. 1 StPO eintretende spätere Änderungen während laufender Hauptverhandlung wird ein Besetzungseinwand nach § 222b Abs. 1 StPO auch nicht dadurch statthaft, dass das Gericht diese späteren Änderungen entsprechend einer spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung vorgesehenen Besetzungsmitteilung nach § 222a Abs. 1 StPO mitteilt.
4. Die nach § 222b Abs. 1 S. 2 StPO erforderliche Angabe der Tatsachen, aus denen sich die vorschriftswidrige Besetzung ergeben soll, entspricht den Anforderungen an die Verfahrensrüge der Revision und es müssen alle Tatsachen konkret vorgetragen werden, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit der Zusammensetzung des Gerichts ergeben soll, auch wenn diese evident und allen Verfahrensbeteiligten bekannt oder erkennbar sein sollten. Dies schließt auch die Angabe des nach § 222b Abs. 1 S. 1 StPO für die Zulässigkeit des Besetzungseinwands maßgeblichen Zeitpunkts der Zustellung der Besetzungsmitteilung oder deren mündlicher Bekanntgabe in der Hauptverhandlung ein, der wiederum aus diesen Angaben erkennbar vor dem Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur Sache gelegen haben muss.
Normenkette
StPO § 222a Abs. 1, § 222b Abs. 1
Verfahrensgang
LG Bremen (Aktenzeichen 61 KLs 962 Js 41354/17 (8/17)) |
Tenor
Der Besetzungseinwand der Angeklagten ... vom 13.03.2020 wird auf deren Kosten als unzulässig verworfen.
Gründe
I.
Vor dem Landgericht Bremen wird gegen die Angeklagten ein Strafverfahren mit dem Kernvorwurf der gefährlichen Körperverletzung und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte geführt. Die Hauptverhandlung vor der Strafkammer 4 hat nach zwischenzeitlicher Aussetzung am 10.01.2020 neu begonnen, bis zum 20.03.2020 waren 11 Sitzungstage terminiert, weitere 9 Sitzungstage sind bis zum 10.07.2020 angesetzt.
Mit Verfügung der Vorsitzenden der Strafkammer 61 vom 17.10.2019 ist den Verteidigern der Angeklagten sowie der Staatsanwaltschaft die Besetzung der Strafkammer durch die namentliche Bezeichnung der drei Berufsrichter (...) mitgeteilt worden; hinsichtlich der Schöffen wurde mitgeteilt, dass der Ersatz eines Ergänzungsschöffen angeordnet wurde und dass, da die Schöffen für das Jahr 2020 noch nicht bestimmt seien, die Feststellung der Besetzung und die Besetzungsmitteilung bezüglich der Schöffen erst zu einem späteren Zeitpunkt mitgeteilt werde. Der Bestand der Strafkammer 61 wurde zum Ende des Geschäftsjahrs 2019 in die Große Strafkammer 4 überführt.
Zu Beginn der Hauptverhandlung wurde auch die Besetzung der Kammer hinsichtlich der Schöffen mündlich bekannt gegeben (Schöffinnen A., B. sowie Ergänzungsschöffe C.). Diese Besetzung wurde nicht gerügt.
Mit außerhalb der Hauptverhandlung ergangenem Beschluss vom 12.03.2020 schloss die Kammer die Schöffin A. wegen der Besorgnis der Befangenheit von Amts wegen von ihrer Mitwirkung als ehrenamtliche Richterin im vorliegenden Verfahren aus. Dem lag folgendes zugrunde: [...]
Im Hauptverhandlungstermin vom 13.03.2020 verlas die Vorsitzende den Beschluss vom 12.03.2020. Die neue Besetzung der Kammer mit dem bisherigen Ergänzungsschöffen C. anstelle der ausgeschiedenen Schöffin A. wurde von der Vorsitzenden mitgeteilt und von ihr durch Beschluss mündlich verkündet.
Der Verteidiger des Angeklagten ... rügte noch in derselben mündlichen Verhandlung die falsche Besetzung des Gerichts unter Bezugnahme darauf, dass ein Ausschluss der Schöffin A. nach § 24 StPO nur auf Antrag eines Antragsberechtigten hätte erfolgen können, nicht aber von Amts wegen nach §§ 30, 31 StPO. Die Verteidiger der Angeklagten ... schlossen sich diesem Antrag an. Die Staatsanwaltschaft stellte daraufhin den Antrag auf Ausschließung der Schöffin A. wegen Besorgnis der Befangenheit.
Die Strafkammer 4 hat dem Besetzungseinwand vom 13.03.2020 mit Beschluss vom...