Leitsatz (amtlich)
1. Die Beurteilung der Frage, ob eine Pflichtverletzung unerheblich i.S.d. § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB ist, erfordert eine umfassende Interessenabwägung, in deren Rahmen ein Verstoß gegen eine Beschaffenheitsvereinbarung die Erheblichkeit der Pflichtverletzung in der Regel indiziert.
2. Unabhängig vom Vorliegen einer Beschaffenheitsvereinbarung scheidet die Annahme von Unerheblichkeit regelmäßig dann aus, wenn sich dem konkreten Vertrag entnehmen lässt, dass der betreffende Qualitätsaspekt wesentlich sein sollte.
3. Das Fehlen eines fest installierten und beleuchteten Aschenbechers in einem als Neuwagen bestellten Pkw ist jedenfalls dann keine unerhebliche Pflichtverletzung i.S.d. § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB, wenn der Käufer im Rahmen der Bestellung ausdrücklich betont hat, dass das bestellte Raucherpaket ganz wichtig sei und das Fahrzeug so ausgestattet sein solle wie das Vorgängermodell (das über einen fest installierten und beleuchteten Aschenbecher verfügt hat).
Normenkette
BGB § 323 Abs. 5 S. 2
Verfahrensgang
LG Osnabrück (Urteil vom 15.08.2014; Aktenzeichen 3 O 363/14) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin und unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels wird das am 15.8.2014 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des LG Osnabrück geändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 117.795,65 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3.2.2014, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs L., Fahrzeug-Ident-Nr ..., zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren i.H.v. 2.194,90 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5.3.2014 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 7 % und die Beklagte 93 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über einen Pkw L., den die Klägerin am 16.1.2013 für 134.990 EUR als Neuwagen bei der Beklagten, einer T.-Vertragshändlerin, bestellt hatte. Sie stützt ihr Begehren darauf, dass das Fahrzeug nicht über einen fest installierten und beleuchteten Aschenbecher vorn verfügt. Dem Geschäftsführer der Klägerin sei aber zugesichert worden, dass diese Einrichtungen - wie auch beim Vorgängermodell, das die Klägerin ebenfalls bei der Beklagten gekauft hatte - vorhanden seien.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 126.478,89 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3.2.2014, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs L., Fahrzeug-Ident-Nr ..., zu zahlen;
2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet;
3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren i.H.v. 2.194,90 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Wegen der Feststellungen und der weiteren Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO), mit dem das LG die Klage abgewiesen hat.
Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die ihre erstinstanzlichen Anträge unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens weiter verfolgt.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
II. Die zulässige Berufung ist überwiegend begründet. Die Klägerin kann die Rückabwicklung des Kaufvertrages verlangen.
1. Die Klägerin ist mit Schreiben vom 23.12.2013 (Anlage K 6, GA 16 ff.) gem. § 437 Nr. 2, § 440, § 323, § 326 Abs. 5 BGB wirksam von dem Kaufvertrag zurückgetreten, weil das von der Beklagten gelieferte Fahrzeug nicht die vertraglich vereinbarte Beschaffenheit aufweist und damit mangelhaft ist (§ 434 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Parteien haben die Lieferung eines Fahrzeugs mit einem fest installierten und beleuchteten Aschenbecher vereinbart; diese Einrichtungen sind bei dem gelieferten Pkw unstreitig nicht vorhanden.
Der Zeuge H. der für die Beklagte als Autoverkäufer tätig ist und die Bestellung der Klägerin aufgenommen hatte, hat vor dem LG ausgesagt (GA 108 f.):
"Das Problem wegen des Aschenbechers trat erst auf, als die Disposition in Osnabrück bei mir nachfragte, ob der Pkw mit oder ohne Raucherpaket bestellt werden soll. Die Bestellungen des L. liefen seinerzeit sämtlichst über Osnabrück. Ich habe auf die Nachfrage aus Osnabrück bei H. I... [Geschäftsführer der Klägerin] angerufen und ihn gefragt, ob er das Raucherpaket habe...