Entscheidungsstichwort (Thema)
Grobe Unbilligkeit der Inanspruchnahme des Kindesvaters bei Geltendmachung von Kindesunterhalt für die Vergangenheit
Leitsatz (redaktionell)
Musste der Kindesvater mit einer Inanspruchnahme auf Kindesunterhalt nicht rechnen, weil die Kindesmutter bis zum Abschluss des Vaterschaftsfeststellungsverfahrens von der Vaterschaft eines anderen Mannes ausging, kann er wegen grober Unbilligkeit auf Unterhalt für die Vergangenheit nicht in Anspruch genommen werden.
Normenkette
BGB § 1613 Abs. 3
Verfahrensgang
AG Wittmund (Urteil vom 16.09.2005; Aktenzeichen 6 F 28/05 UK) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 16.9.2005 verkündete Urteil des AG - FamG - Wittmund teilweise geändert.
Die Klage wird abgewiesen, soweit der Kläger den Beklagten auf rückständigen Kindesunterhalt für die Zeit von Juli 2002 bis September 2004 i.H.v. insgesamt 3.276 EUR in Anspruch nimmt.
Der Kläger trägt die Kosten der Berufung. Von den übrigen Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 3/10 und der Beklagte 7/10.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Parteien streiten über Kindesunterhalt.
Der am 12.1.2001 geborene Kläger ist ein leibliches Kind des Beklagten.
Nach der Geburt des Klägers war zunächst unklar, wer der Erzeuger ist. Der Kläger hat zunächst einen Herrn A.J. auf Feststellung der Vaterschaft in Anspruch genommen, wobei er seine Kenntnis von dem Umstand, dass J. als Vater in Betracht kommt, naturgemäß von seiner Mutter hatte.
Nachdem feststand, dass J. nicht der Vater ist, haben die Kindesmutter und der Beklagte ein Privatgutachten zur Abstammung des Klägers eingeholt. Das beauftragte Institut hat sodann am 20.10.2004 festgestellt, dass der Beklagte der Vater ist. Dieser hat die Vaterschaft am 18.11.2004 anerkannt.
Der Kläger hat den Beklagten auf Unterhalt seit dem Tag seiner Geburt in Anspruch genommen, dabei aber die Zeit, in der Beklagte unstreitig Wehrdienst geleistet hat (April bis September 2004), ausgenommen.
Durch das angefochtene Urteil hat das AG den Beklagten antragsgemäß zum rückständigen Unterhalt für die Zeit von Juli 2002 bis Januar 2005 i.H.v. 4.044 EUR verurteilt, außerdem zum laufenden Unterhalt für die Zeit ab Februar 2005 i.H.v. 100 % des Regelbetrags abzgl. Kindergeld nach Maßgabe der üblichen Kindergeldverrechnung.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner form- und fristgerecht eingelegten und rechtzeitig begründeten Berufung, mit der er im wesentlichen geltend macht, dass seine Inanspruchnahme auf Unterhalt für die Zeit vor Oktober 2004 unbillig sei. Die Kindesmutter habe ihm schon während der Schwangerschaft aber auch noch danach mitgeteilt, dass J. der Vater des Kindes sei. Er habe daher nicht damit rechnen können, auf rückständigen Unterhalt in Anspruch genommen zu werden. Erst nachdem sich herausgestellt habe, dass J. nicht der Vater ist, habe er aufgrund des eingeholten Privatgutachtens erfahren, dass er selbst der Vater ist.
Der Beklagte beantragt, das Urteil des AG Wittmund aufzuheben, soweit der Beklagte und Berufungskläger verurteilt wird, rückständigen Kindesunterhalt für den Zeitraum 1.7.2002 bis 30.9.2004 i.H.v. insgesamt 3.276 EUR zu zahlen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
II. Die Berufung ist begründet.
Die Inanspruchnahme des Beklagten auf Kindesunterhalt für die Zeit vor Oktober 2004 ist grob unbillig, § 1613 Abs. 3 BGB.
Das AG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Beklagte grundsätzlich auch zum rückständigen Unterhalt verpflichtet ist, weil der Kläger bis zur Feststellung der Vaterschaft des Beklagten aus rechtlichen Gründen gehindert war, seine Ansprüche geltend zu machen, § 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
Gleichwohl scheidet jedoch vorliegend die Inanspruchnahme des Beklagten für die Zeit vor Oktober 2004 aus, denn sie würde eine unbillige Härte bedeuten, § 1613 Abs. 3 BGB.
Entscheidendes Kriterium für die Prüfung der Frage, ob grobe Unbilligkeit i.S. § 1613 BGB vorliegt ist, ob ein möglicher Kindesvater mit seiner Inanspruchnahme auf Kindesunterhalt rechnen muss (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, § 1613 Rz. 25). Dies war vorliegend nicht der Fall: Aufgrund der Anhörung der Kindesmutter im Berufungsverfahren steht fest, dass bis zum Abschluss des Vaterschaftsfeststellungsverfahrens gegen J. nicht einmal sie selbst den Beklagten für den Kindesvater gehalten hat, sondern des festen Überzeugung war, dass J. der Erzeuger ist. Folgerichtig hat sie den Beklagten, mit dem sie auch während und nach der Schwangerschaft losen Kontakt hatte, auch nicht darauf angesprochen, dass sie ihn - den Beklagten - als Kindesvater überhaupt in Betracht zöge.
Da der Beklagte mithin keine Anhaltspunkte hatte, mit seiner späteren Inanspruchnahme auf Unterhalt zu rechnen, würde eine Stundung oder Herabsetzung des rückständigen Unterhalts der Situation nicht gerecht werden, zumal die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beklagten auch begrenzt ist.
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97, 92, 708 Nr. 10, 711, 713 ...