Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Eingrenzung der Tatbestandsvoraussetzungen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen gem. § 86a StGB sowie der Verbreitung von Kennzeichen verbotener Vereine oder Parteien gem. § 20 Abs.1 Nr.5 VereinsG. insbesondere des sogenannten "Prophetensiegels". im Wege teleologischer Reduktion. Kennzeichen. Teleologische Reduktion. Tatbestandsmäßigkeit. Sozialadäquanzklausel. Meinungsfreiheit. Hakenkreuz. Prophetensiegel. Islamischer Staat
Leitsatz (amtlich)
Zur Eingrenzung der Tatbestandsvoraussetzungen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen gem. § 86a StGB sowie der Verbreitung von Kennzeichen verbotener Vereine oder Parteien gem. § 20 Abs.1 Nr.5 VereinsG - insbesondere des sogenannten "Prophetensiegels" - im Wege teleologischer Reduktion
Normenkette
StGB §§ 86, 86a; VereinsG § 20
Verfahrensgang
LG Osnabrück (Entscheidung vom 16.03.2023; Aktenzeichen 5 Ns 185/22) |
AG Lingen (Entscheidung vom 25.08.2022) |
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil der 5. kleinen Strafkammer des Landgerichts Osnabrück vom 16. März 2023 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Osnabrück zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht - Strafrichter - Lingen (Ems) hatte den Angeklagten durch Urteil vom 25. August 2022 vom Vorwurf des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen und des Verwendens von Kennzeichen eines von einem Betätigungsverbot betroffenen Vereins freigesprochen.
Die hiergegen gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Osnabrück mit Urteil vom 16. März 2023 verworfen.
Mit der hiergegen gerichteten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft unter Aufhebung des Berufungsurteils nach wie vor die anklagegemäße Verurteilung. Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Revision beigetreten.
II.
Die gemäß §§ 333, 341 Abs. 1, 344, 345 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Revision ist begründet. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen sowie des Verwendens von Kennzeichen eines von einem Betätigungsverbot betroffenen Vereins verneint hat, halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1.
Das Landgericht hat im angefochtenen Urteil folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
"Der Angeklagte postete auf seinem Facebook-Account für jedermann offen und mit allen Inhalten frei zugänglich Beiträge, in denen er sich kritisch mit Gewalttätigkeiten und Menschenrechtsverletzungen im Nahen Osten, insbesondere in den Kurdengebieten auseinandersetzte. Der Angeklagte wollte dabei insbesondere auf die Gefahren des sog. Islamischen Staates (im Folgenden: IS) und auf die Verfolgung von Kurden durch den türkischen Staat unter Führung von dessen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan aufmerksam machen. Diese Postings standen u.a. auch im Zusammenhang mit politischen Auseinandersetzungen, die sich daran entzündet hatten, dass der Angeklagte wiederholt massive öffentliche Kritik am Islamismus geübt und auch die Integrationsfähigkeit mancher Migranten in Zweifel gezogen hatte. Diese Diskussionen wurden teilweise auch über soziale Medien ausgetragen.
In diesem Kontext kam es zu folgenden Postings, die jedenfalls bis zum TT.MM.2020 allgemein öffentlich sichtbar waren:
a) Am TT.MM.2019 teilte der Angeklagte das Abbild eines Hakenkreuzes, welches sich in dem Buchstaben "O" des großgeschriebenen Wortes ERDOGAN befand. Oberhalb dieses Schriftzuges sind zwei Gesichter zu erkennen; das eine Gesicht zeigt Adolf Hitler, das andere Gesicht den Staatspräsidenten der Türkei Recep Tayyip Erdogan. [...]
Zusammen mit dem vorbeschriebenen Bild war auf der Facebookseite ein weiteres Bild zu sehen, das eine Collage enthielt, die aus sechs Fotos bestand, auf denen getötete Kinder zu sehen waren. Unterhalb dieser sechs Fotos befand sich unten links ein Kopfbild Recep Tayyip Erdogans und im Hintergrund waren Blutspritzer zu sehen, die an einer Wand herunterrannen. [...]
b) Am TT.MM.2019 teilte der Angeklagte ein Lichtbild, auf dem insgesamt fünf Menschen zu sehen sind. Vier davon tragen militärische Kleidung, sind vermummt und bewaffnet. Vor diesen vier Personen sitzt eine männliche, unvermummte Person, die ein graues Gewand trägt und in der rechten Hand eine Machete hält. Diese vordere Person hat das Gesicht des Staatspräsidenten der Türkei Recep Tayyip Erdogan; hinter der Personengruppe befindet sich in der Mitte die Flagge des IS mit dem sog. Prophetensiegel; rechts und links davon wird eine strahlende Glühbirne gezeigt, unter der sich der Schriftzug AK PARTi befindet. Dabei handelt es sich um das Symbol der Adalet ve Kalkinma Partisi, welcher der Staatspräsident der Türkei vorsitzt und bei der es sich um die führende P...