Leitsatz (amtlich)

Weicht ein teilkaskoversicherter Versicherungsnehmer mit seinem Fahrzeug einem plötzlich auftauchenden Reh aus, so kann der Ersatz von Rettungskosten weder mit der Begründung versagt werden, der Versicherungsnehmer habe nicht planvoll gehandelt, sondern lediglich reflexhaft, d.h. unwillkürlich-automatisch, reagiert, noch mit der Erwägung, die Vermeidung von Schäden am versicherten Fahrzeug stelle im Verhältnis zur Vermeidung von Personenschäden stets ein nachrangig zurücktretendes Nebeninteresse dar, dessen Rettung nur als Reflexwirkung der Rettung des Hauptinteresses angesehen werden könne.

 

Verfahrensgang

LG Osnabrück (Urteil vom 26.05.2004; Aktenzeichen 9 O 598/04)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 26.5.2004 verkündete Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des LG Osnabrück wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Tatbestand

Der Kläger hat bei der Beklagten einen Pkw Audi A3 teilkaskoversichert.

Wirtschaftlicher Eigentümer ist sein Sohn, der Zeuge T. Dieser befuhr mit dem Fahrzeug am 27.11.2003 gegen 18.00 Uhr die durch ein Waldgebiet verlaufende Landstraße von Dalum in Richtung Füchtenfeld. Kurz vor Füchtenfeld kam der Wagen nach rechts von der Fahrbahn ab und prallte frontal gegen einen Baum.

Der Kläger hat behauptet, sein Sohn sei mit einer Geschwindigkeit von ca. 60 km/h gefahren, als plötzlich von links kommend ein Reh auf die Straße gelaufen sei. Sein Sohn habe, um dem Reh auszuweichen, zunächst nach links und dann wieder nach rechts gelenkt, wobei er das Reh noch berührt habe. Anschließend habe er die Gewalt über sein Fahrzeug verloren. Mit seiner Klage hat der Kläger den am Pkw entstandenen Sachschaden von 9.743,91 Euro abzgl. eines Abzugs "neu für alt" von 141,15 Euro und der vereinbarten Selbstbeteilung von 150 Euro, mithin 9.452,76 Euro geltend gemacht.

Die Beklagte hat bestritten, dass überhaupt ein Reh auf der Straße war. Selbst wenn dem so gewesen sein sollte, fehle es an einer Einstandspflicht aus § 12 Abs. 1 Nr. 1d) AKB (Stand 1.10.2002), weil es nicht zu einem Zusammenstoß mit dem Reh gekommen sei. Bei den vom Sachverständigen D. rechtsseitig am Pkw im Bereich der vorderen Beleuchtung festgestellten Haarresten handele es sich nach den Feststellungen des von ihr beauftragten Sachverständigen für Wildschadensregulierung W. nicht um Haare von Rot-, Dam-, Schwarz- oder Rehwild. Im Übrigen habe der Sohn des Klägers selbst am Unfallort ggü. der Polizei angegeben, dass das Reh vom Pkw nicht erfasst worden sei. Ein Ersatz des Schadens als Rettungskosten nach §§ 62, 63 VVG komme ebenfalls nicht in Betracht. In Anbetracht dessen, dass dem Sohn des Klägers nur Bruchteile einer Sekunde zum Reagieren zur Verfügung gestanden hätten, habe es sich nicht um ein geplantes Rettungsmanöver, sondern lediglich um eine Reflexhandlung gehandelt, für deren Folgen sie nicht einzustehen habe.

Das LG hat der Klage i.H.v. 9.302,73 Euro nebst Zinsen stattgegeben.

Mit ihrer gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung rügt die Beklagte die Beweiswürdigung des LG und beantragt, die Klage abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

I. Zwar ergibt sich kein Anspruch aus § 12 Abs. 1 Nr. 1d AKB, weil der Kläger nicht bewiesen hat, dass der Schaden durch einen Zusammenstoß des Fahrzeugs mit einem Tier verursacht worden ist. Dem Kläger steht aber ein Anspruch auf Ersatz der sog. Rettungskosten aus §§ 62, 63 VVG zu.

1. Der Zeuge T. hat bekundet, er sei am Vorfallstage gegen 18.00 Uhr bei Dunkelheit mit dem Fahrzeug von Dalum in Richtung Füchtenfeld gefahren. Die Straße sei nass gewesen. Geregnet habe es aber nicht mehr. Etwa 200 m-300 m vor dem Kreisverkehr am Ortseingang von Füchtenfeld habe er plötzlich unmittelbar vor sich, d.h. ca. 20-30 m entfernt, ein Reh auf seiner Fahrbahnseite stehen sehen. Zu diesem Zeitpunkt habe er wegen des Kreisverkehrs seine Geschwindigkeit bereits auf ca. 60 km/h herabgesetzt gehabt. Um einen Zusammenstoß mit dem Reh zu vermeiden, habe er den Wagen zunächst nach links und anschließend wieder nach rechts gelenkt. Er habe so um das Tier herumfahren wollen. Beim Gegenlenken habe er dann allerdings auf der nassen Straße die Gewalt über das Fahrzeug verloren und sei rechts gegen einen Straßenbaum geprallt. Das Reh sei nach rechts in den Wald gelaufen. Er habe keinen Zusammenstoß mit dem Tier bemerkt und dies auch am Unfallort der Polizei erklärt. Nachdem dann am nächsten Tag der Sachverständige D. am rechten Scheinwerfer Haare sichergestellt hatte, die von einem Reh hätten stammen können, sei er zu der Überzeugung gekommen, dass er das Reh wohl doch gestreift haben müsse, ohne dass er dies in der Hektik des Augenblicks bemerkt habe. Dementsprechend habe er dem Versicherungsagenten, der die Schadensmeldung ausgefüllt habe, dann auch erklärt, dass er das Tier noch berührt habe. Soweit es zu Ziff. 12 der Schadensmeldung heiße, das Tier sei beim ersten ...

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