Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflichtteilsergänzungsanspruch: Schenkungsgegenstand bei einer Lebensversicherung des Erblassers zugunsten eines Dritten
Leitsatz (amtlich)
Bei der Ermittlung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs des gesetzlichen Erben ist eine vom Erblasser zugunsten des von ihm eingesetzten Alleinerben abgeschlossene Lebensversicherung mit widerruflicher Bezugsberechtigung nicht mit den in den letzten zehn Jahren vor dem Erbfall vom Erblasser aufgewendeten Versicherungsprämien, sondern mit der ausgekehrten Versicherungsleistung anzusetzen (entgegen BGH, 20.9.1995 - XII ZR 16/94, NJW 1995, 3113 und OLG Stuttgart, 13.12.2007 - 19 U 140/07, NJW-RR 2008, 389; Anschluss OLG Düsseldorf, 22.2.2008 - I-7 U 140/07, VersR 2008, 1097).
Normenkette
BGB § 2325 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Aurich (Urteil vom 02.10.2009; Aktenzeichen 3 O 267/08 (82)) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 2.10.2009 verkündete Schlussurteil der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des LG Aurich unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger über den durch Teilanerkenntnisurteil vom 2.12.2008 zuerkannten Betrag von 15.000 EUR hinaus weitere 29.493,98 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.10.2008 und auf 15.000 EUR für den Zeitraum vom 25.10.2008 bis zum 2.12.2008 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.085,04 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.8.2008 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor den Zwangsvollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision gegen das Urteil wird zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Pflichtteilsansprüche nach dem Tod des Vaters des Klägers. Dieser hatte die Beklagte, seine Stieftochter, zu seiner Alleinerbin eingesetzt.
Der Erblasser hatte eine Lebensversicherung mit widerruflicher Bezugsberechtigung zugunsten der Beklagten abgeschlossen, auf die er Prämien i.H.v. 1.804,65 EUR gezahlt hatte. Nach seinem Tod zahlte die Versicherung einen Betrag von 103.000 EUR an die Beklagte aus. Der übrige Wert des Nachlasses beträgt - inzwischen unstreitig - 74.975,91 EUR.
Das LG hat die Beklagte durch Teilanerkenntnisurteil vom 2.12.2008 zur Zahlung von 15.000 EUR verurteilt. Mit Schlussurteil vom 2.10.2009 hat das LG die Beklagte zur Zahlung weiterer 4.195,14 EUR nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf das Urteil des LG verwiesen. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers.
Der Kläger meint, das LG habe zu Unrecht den Auszahlungsbetrag aus der vom Erblasser widerruflich zugunsten der Beklagten abgeschlossenen Lebensversicherung i.H.v. 103.000 EUR sowie Vollstreckungskosten i.H.v. 371,52 EUR unberücksichtigt gelassen. Sein Anspruch als Pflichtteilsberechtigter umfasse entsprechend der im Vordringen befindlichen Auffassung in Rechtsprechung und Literatur nicht nur die vom Erblasser gezahlten Prämien, sondern die gesamte Versicherungsleistung. Hinsichtlich der Vollstreckungskosten habe entgegen der Auffassung des LG Verzug vorgelegen.
Der Kläger beantragt, unter Abänderung des Urteils des LG Aurich die Beklagte zur Bezahlung weiterer 29.865,50 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 7.11.2007 aus 29.493,98 EUR und aus 371,52 EUR seit dem 6.10.2008 zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das Urteil des LG. Die Zuwendung der Lebensversicherung entspreche im Übrigen einer sittlichen Pflicht des Erblassers, so dass § 2325 BGB wegen der Regelung in § 2330 BGB keine Anwendung finde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II. Die Berufung des Klägers hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.
1) Dem Kläger steht gegen die Beklagte aus § 2325 BGB ein Anspruch auf Pflichtteilsergänzung i.H.v. 1/4 der an die Beklagte ausgekehrten Lebensversicherungsleistung zu. Entgegen der Auffassung des LG bestimmt sich der Schenkungsgegenstand bei - wie hier - widerruflicher Bezugsberechtigung einer Lebensversicherung nicht nach den in den letzten zehn Jahren vor dem Erbfall vom Erblasser aufgewendeten Versicherungsprämien, sondern nach der ausgekehrten Versicherungsleistung. Der Senat vermag der anders lautenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. BGH NJW 1995, 3113; OLG Stuttgart FamRZ 2008, 822; Staudinger-Olshausen, BGB, Stand Juni 2006, § 2325 Rz. 37; Hilbig ZEV 2008, 262), der sich das LG angeschlossen hat, nicht zu folgen. Sowohl nach ...