Leitsatz (amtlich)
1. Bei einer sogenannten Anfängeroperation muß ständige Eingriffsbereitschaft und Eingriffsfähigkeit des aufsichtsführenden Facharztes gewährleistet sein. Fehlende Einsehbarkeit des Operationsfeldes (hier bei Freilegung und Offenhalten durch Operationshaken) entlastet ihn grundsätzlich nicht.
2. Der Entlastungsbeweis gem. § 831 BGB ist mit dem bloßen Hinweis, der Berufsanfänger habe bereits 12 Hüftgelenkoperationen fehlerfrei durchgeführt, allein nicht zu führen.
3. Die Mehrbedarfsrente gem. § 843 Abs. 1 BGB bemißt sich nicht nach einem abstrakten Beeinträchtigungssatz (MdE) sondern nach den tatsächlich erforderlichen Mehranforderungen (hier: 400 DM). ‹
4. 60000 DM [3000 EUR] Schmerzensgeld für eine 67-jährige Frau wegen Verletzung der Femoralarterie und des Nervus femoralis bei fehlerhaft durchgeführter Hüftgelenksoperation durch nicht fachgerechte Einbringung der Operationshaken mit irreparabler Nervschädigung.
Die Geschädigte kann den Oberschenkel nicht mehr bewegen oder aus liegender Stellung den Oberkörper aufrichten; Rollstuhlzwang außer Haus auf Rollstuhl.
Der Senat sah es nicht als anspruchsmindernd, daß der Klägerin bei gelungener Operation eine MdE von 25% zuerkannt worden wäre.
Verfahrensgang
LG Oldenburg (Urteil vom 04.04.1997; Aktenzeichen 8 O 1197/96) |
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld und eine Mehrbedarfsrente wegen einer fehlerhaft durchgeführten Hüftgelenksoperation.
Am 6.8.1992 wurde die damals 67 Jahre alte Klägerin in dem von dem Beklagten zu 1) getragenen Krankenhaus durch den in der Weiterbildungszeit befindlichen Beklagten zu 3) unter Assistenz eines Oberarztes (des früheren Beklagten zu 2) wegen einer Coxarthrose links durch Versorgung mit einer Endoprothese operiert. Dabei kam es infolge nicht fachgerechter Einbringung des um die Hüftgelenkspfanne geführten Operationshakens durch den Beklagten zu 3) zu einer Verletzung der Femoralarterie und des Nervus femoralis. Während die Gefäßschädigung nach einer End-zu- Endanastomose folgenlos verheilte, ist die Nervschädigung irreparabel. Die Klägerin ist dadurch nicht mehr in der Lage, den Oberschenkel zu bewegen und aus liegender Stellung den Oberkörper aufzurichten. Das Einsinken der Knie beim Stehen und Gehen kann sie nur durch Vorneigung des Rumpfes vermeiden. Sie kann nicht mehr Treppensteigen und nicht mehr ohne Unterarmstützen gehen. Sie leidet unter dauernden Schmerzen und ist außer Haus auf einen Rollstuhl angewiesen. In Haushalt und beim An- und Auskleiden bedarf sie fremder Hilfe.
Die Klägerin hat über die vorprozessual geleisteten 10.000,- DM weitere 50.000,- DM Schmerzensgeld und über die freiwillig von dem Beklagten zu 1) monatlich gezahlten 400,- DM Mehrbedarfsrente weitere 1.200,- DM pro Monat verlangt. Unstreitig ist, daß die Klägerin aus der Pflegeversicherung seit Dezember 1993 400,- DM und seit April 1995 800,- DM Pflegegeld erhält und daß der volle Satz einer Mehrbedarfsrente 1.600,- DM beträgt.
Die Beklagten haben eingewandt, daß bei der Berechnung des Mehrbedarfs das anlagebedingte Übergewicht der Klägerin berücksichtigt werden müsse. Bei ordnungsgemäßem Operationsverlauf wäre bei der Klägerin eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 25 % zurückgeblieben. Angesichts der vom Schlichtungsgutachter angenommenen 50 % MdE deckten die Rentenzahlung von 400,- DM im Monat den operationsbedingten Mehrbedarf ab.
Das Landgericht hat sachverständig beraten die Klage gegen den Oberarzt abgewiesen, sei unwidersprochen nicht in der Lage gewesen, den Fehler des Beklagten zu 3) zu verhindern, da das Operationsfeld für ihn nicht einsehbar gewesen sei. Gegen die Beklagten zu 1) und 3) hat es dem Schmerzensgeldbegehren in vollem Umfang und dem Rentenverlangen unter Abzug der freiwilligen Rentenzahlungen und der Leistungen aus der Pflegeversicherung von dem vollen Mehrbedarfsbetrag i.H.v. 28.400,00 DM stattgegeben, da die Klägerin allein praktisch nicht mehr zurecht komme.
Mit der dagegen gerichteten Berufung verfolgen die Beklagten zu 1) und 3) ihr Klagabweisungsbegehren hinsichtlich der Mehrbedarfsrente und der Beklagte zu 1) hinsichtlich des Schmerzensgeldes weiter.
Dazu tragen sie unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens wie folgt vor:
Der Beklagte zu 1) könne für Fehler des Beklagten zu 3) nicht auf Schmerzensgeld in Anspruch genommen werden, weil dieser nicht zu seinen Organen gehöre und die erforderliche Fähigkeit für die Operation in 12 ordnungsgemäß und fehlerfrei vorgenommenen Operationen dieser Art bereits erworben gehabt habe. Der assistierende Oberarzt habe den Schaden auch bei sorgfältigster Anleitung und Überwachung nicht abwenden können.
Bei der Mehrbedarfsrente habe das Landgericht übersehen, daß der volle Betrag nur bei einer MdE von 100 % zu zahlen sei, bei der Klägerin aber nur eine MdE von 50 % bestehe, daß ohne den Operationsschaden kein Anspruch auf Pflegegeld bestünde, daß eine totale Nervus-femoralis-Schädigung allenfalls eine MdE von 35 - 40 % nach sich ziehe und daß für die Klägerin au...