Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung der Ehefrau bei der Ermittlung des Pfändungsfreibetrages
Leitsatz (amtlich)
Gemäß § 850c Abs. 4 ZPO kann das Vollstreckungsgericht anordnen, dass die Ehefrau des Schuldners bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens des Schuldners unberücksichtigt bleibt, wenn die grundsätzlich unterhaltsberechtigte Person eigene Einkünfte hat.
Normenkette
ZPO § 850c Abs. 4
Verfahrensgang
LG Rostock (Beschluss vom 05.12.2011; Aktenzeichen 9 O 134/10) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des LG Rostock vom 5.12.2011 wird zurückgewiesen.
2. Der Schuldner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist gem. §§ 793, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 ZPO zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Zu Recht hat das LG auf Antrag des Gläubigers mit dem angefochtenen Beschluss gem. § 850c Abs. 4 ZPO angeordnet, dass die Ehefrau des Schuldners bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens des Schuldners unberücksichtigt bleibt.
Nach jener Vorschrift kann das Vollstreckungsgericht dies nach billigem Ermessen bestimmen, wenn die grundsätzlich unterhaltsberechtigte Person eigene Einkünfte hat. Das ist vorliegend der Fall, denn die Ehefrau des Schuldners verfügt nach den eigenen Angaben des Schuldners über eigenständige Einkünfte i.H.v. insgesamt 978,56 EUR monatlich (monatliche Altersrente von 518,39 EUR und monatliche Mieteinnahmen von 460,17 EUR).
Nach der Rspr. des BGH, der sich der Senat anschließt, verbietet sich bei der von Gesetzes wegen nach billigem Ermessen zu treffenden Bestimmung des Vollstreckungsgerichts eine schematisierende Betrachtungsweise (BGH, Beschl. v. 21.12.2004, IXa ZB 142/04, MDR 2005, 774; Beschl. v. 5.4.2005 - VII ZB 28/05, MDR 2005, 1013; Beschl. v. 5.11.2009 - IX ZB 101/09, FamRZ 2010, 123; insoweit ebenso bereits: LG Rostock, Beschl. v. 19.2.2003 - 2 T 43/03, JurBüro 2003, 326). Bei der Ermessensausübung hat das Gericht seine Entscheidung unter Abwägung der wirtschaftlichen Lage des Gläubigers und des Schuldners sowie der von ihm unterhaltenen Angehörigen zu treffen. Dabei können jedoch Pfändungsfreibeträge und Unterhaltstabellen Gesichtspunkte für die Ausübung des Ermessens geben. Eine einseitige Orientierung an bestimmten Berechnungsmodellen scheidet allerdings aus, weil sie dem Sinn von § 850c Abs. 4 ZPO widerspricht (vgl. BGH, a.a.O.). Eine solche nur einseitige Orientierung an bestimmten Berechnungsgrößen liegt jedoch nicht vor, wenn diese lediglich als Basis im Rahmen der nach § 850c Abs. 4 ZPO zu treffenden Ermessensentscheidung herangezogen werden. Denn das Zwangsvollstreckungsverfahren ist nach dem gesetzgeberischen Willen auch praktikabel zu gestalten. Ermessensfehlerhaft ist es lediglich, dieselbe Berechnungsformel unterschiedslos auf verschiedenartige Fallgestaltungen anzuwenden (vgl. BGH, Beschl. v. 5.4.2005, a.a.O.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze vermag der Senat keine Ermessensfehler des LG bei seiner Entscheidung, die Ehefrau des Schuldners bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens unberücksichtigt zu lassen, zu erkennen. Vielmehr entspricht es auch zur Überzeugung des Senats unter Abwägung der beiderseitigen Interessen billigem Ermessen, die Ehefrau des Schuldners, die eigene Einkünfte i.H.v. monatlich insgesamt 978,56 EUR hat, entspr. unberücksichtigt zu lassen.
Dabei kann hier offen bleiben, ob es - zu Lasten der Interessen des Gläubigers - bei einem Unterhaltsberechtigten mit eigenständigem Haushalt regelmäßig billigem Ermessen entsprechen wird, als Orientierungshilfe den Grundfreibetrag des § 850c Abs. 1 S. 1 ZPO zugrunde zu legen (vgl. BGH, a.a.O., m.w.N.) und hiervon gewisse Abstriche zu machen, soweit der Unterhaltsberechtigte - wie hier - mit dem Schuldner in einem gemeinsamen Haushalt lebt. Da der Grundfreibetrag gem. § 850c Abs. 1 S. 1 ZPO aktuell 1.028,89 EUR beträgt und die eigenen Einkünfte der Ehefrau des Schuldners diesen Betrag annähernd erreichen, erscheint es dem Senat schon deshalb gerechtfertigt, die Ehefrau des Schuldners unberücksichtigt zu lassen, anderenfalls die Interessen des Gläubigers über Gebühr beeinträchtigt wären.
Wenn in solchen Fällen bei der Berechnung des Freibetrages des Unterhaltsberechtigten die nach den sozialrechtlichen Regelungen die Existenzsicherung gewährleistenden Sätze herangezogen werden (vgl. BGH, a.a.O.; Beschl. v. 7.5.2009 - IX ZB 211/08, MDR 2009, 1004) führt dies vorliegend - erst recht - zum gleichen Ergebnis. Bei einer Orientierung an den sozialrechtlichen Regelungen ist dabei zwar im Rahmen der Ermessensausübung in Würdigung aller Umstände des Einzelfalls ein Zuschlag vorzunehmen, da die Pfändungsfreigrenzen dem Schuldner und seinen Unterhaltsberechtigten nicht nur das Existenzminimum sichern wollen, sondern eine deutlich darüber liegende Teilhabe am Arbeitseinkommen erhalten bleiben muss. Insoweit erscheint ein Zuschlag in einer Größenordnung von 30 % bis 50 ...