Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendbarkeit deutschen Scheidungsrechts bei algerischen Staatsangehörigen
Leitsatz (redaktionell)
Scheidung der Ehe algerischer Staatsangehöriger; Anwendung deutschen Ehescheidungsrechs wegen Verstoßes gegen den ordre public bei Anwendung algerischen Rechts.
Normenkette
EGBGB Art. 6, 14 Abs. 1 Nr. 1, Art. 17 Abs. 1 S. 1; GG Art. 3 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Hagenow (Beschluss vom 16.12.2004; Aktenzeichen 3 F 228/04) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des AG Hagenow - FamG - vom 16.12.2004, Az. 3 F 228/04, aufgehoben. Der Antragstellerin wird unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwalt ..., Ludwigslust, zur Durchführung des Scheidungsverfahrens ratenfreie Prozesskostenhilfe gewährt.
Gründe
Die am 25.1.2005 eingelegte sofortige Beschwerde gegen den am 28.12.2004 zugestellten Beschluss ist zulässig und begründet. Das FamG hat der Antragstellerin zu Unrecht die beantragte Prozesskostenhilfe verweigert. Dem beabsichtigten Scheidungsantrag kann nicht von vornherein die Aussicht auf Erfolg abgesprochen werden.
1. Zunächst hätte das FamG aufklären müssen, ob algerisches oder deutsches Recht zur Anwendung kommt. Zwar sind die Parteien beide algerische Staatsangehörige, was gem. Art. 17 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB zur Anwendung algerischen Rechts führen würde. Völlig ungeklärt ist aber, auf welcher rechtlichen Grundlage der Aufenthalt der Parteien in Deutschland beruht. Sollte es sich bei den Parteien um Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention oder um anerkannte Asylberechtigte handeln, so besäßen sie deutsches Personalstatut (Art. 12 Abs. 1 Genfer FlüchtKonv, § 2 Abs. 2 AsylVG) mit der Folge, dass gem. Art. 17 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB deutsches Recht zur Anwendung käme.
2. Sollte algerisches Recht Scheidungsstatut und die Scheidung danach nicht zulässig sein, so käme ebenfalls deutsches Scheidungsrecht zum Zuge, weil dieses Ergebnis gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 2 GG) und damit gegen den deutschen ordre public verstoßen würde, Art. 6 EGBGB. Während nämlich der Ehemann gem. Art. 48 S. 2 des algerischen FamGB vom 9.6.1984 (in deutscher Übersetzung abgedr. bei Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Algerien, Stand: 31.8.1991, S. 17 ff.) durch einfache Willenserklärung (sog. talaq) die Scheidung herbeiführen kann, ist der Scheidungsantrag der Ehefrau nur unter den in Art. 53 alger. FGB genannten engen Voraussetzungen zulässig. Ist danach die Scheidung nicht zulässig, so greift Art. 6 EGBGB ein und es gilt ersatzweise deutsches Recht (Winkler v. Mohrenfels in MünchKomm, 3. Aufl., Art. 17 EGBGB Rz. 124b, m.w.N.).
3. Nach deutschem Recht ist die Scheidung zulässig, wenn die Ehe gescheitert ist, § 1564 BGB, und die Ehegatten seit mindestens einem Jahr getrennt leben, § 1565 Abs. 2 BGB. Die Dreijahresfrist des § 1566 Abs. 2 BGB begründet eine unwiderlegbare Vermutung für das Scheitern der Ehe, das Scheitern kann aber auch vorher festgestellt werden. Eine Ehe ist gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, dass die Ehegatten sie wiederherstellen, § 1565 Abs. 1 BGB. Es reicht aus, wenn ein Ehegatte die Gemeinschaft nicht wiederherstellen will (Palandt/Brudermüller, BGB, 64. Aufl. 2005, § 1565 BGB Rz. 3) und die Gründe hierfür plausibel sind. Die von der Antragstellerin behaupteten Gewalttätigkeiten des Antragsgegners, wie sie insb. im Verfahren über die Folgesache Sorgerecht eindringlich geschildert sind, sind durchaus geeignet, ihren Willen, nicht zu ihrem Ehemann zurückzukehren, plausibel zu begründen. Ob das in Algerien anders gewertet wird (was sehr unwahrscheinlich ist, denn gem. Art. 4 S. 2 alger. FGB beruht die Ehe auf Zuneigung, Sanftmut und gegenseitigem Beistand, womit sich Gewalttätigkeiten schwerlich vereinbaren lassen), ist völlig unerheblich.
Eine Kostenentscheidung war gem. § 127 Abs. 4 ZPO nicht veranlasst.
Fundstellen
Haufe-Index 1556364 |
FamRZ 2006, 947 |
NJOZ 2006, 3153 |
OLGR-Ost 2006, 807 |
www.judicialis.de 2005 |