Leitsatz (amtlich)
Mutwilligkeit i.S.v. § 114 ZPO liegt vor, wenn eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde und stattdessen den kostengünstigeren von zwei gleichwertigen prozessualen Wegen beschreitet. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, wenn der Geschädigte seinen Schmerzensgeldanspruch auf dem Zivilrechtsweg geltend macht, obwohl er - anwaltlich vertreten - dieses Ziel auch im Adhäsionsverfahren hätte verfolgen können, denn es handelt sich bei den beiden Möglichkeiten nicht um gleichwertige prozessuale Möglichkeiten.
Normenkette
ZPO § 114
Verfahrensgang
LG Stralsund (Beschluss vom 04.10.2010) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 10.2.2010 wird der Beschluss des LG Stralsund, 6. Zivilkammer, vom 4.2.2010 abgeändert:
Dem Antragsteller wird für die beabsichtigte Schadensersatzklage Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt ... in ... als Prozessbevollmächtigter beigeordnet.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe
I. Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Schmerzensgeld wegen versuchten Mordes. Das LG Stralsund hat mit Beschluss vom 4.2.2010 die Prozesskostenhilfe verweigert. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung sei mutwillig, weil das Klageziel einfacher erreicht werden könne, indem der Antragsteller das begehrte Schmerzensgeld im Adhäsionsverfahren nach Maßgabe der §§ 403 ff. StPO geltend macht. Zumal wenn der Geschädigte - wie hier - in dem Strafverfahren als Nebenkläger unter Beteiligung eines Rechtsanwaltes beteiligt sei, handele es sich bei dem Antrag auf Zuerkennung eines Schmerzensgeldes im Strafverfahren um das einfachere und billigere Verfahren.
Der Antragsteller hat gegen den ihm am 8.2.2010 zugestellten Beschluss am 10.2.2010 sofortige Beschwerde eingelegt, der das LG gemäß Beschluss vom 15.2.2010 nicht abgeholfen hat.
II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.
1. Die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gem. § 114 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage ergibt sich aus der erstinstanzlichen Verurteilung des Anspruchsgegners wegen versuchten Mordes durch das LG Stralsund. Der strafrechtlichen Verurteilung liegt der hier streitgegenständliche Vorgang zugrunde.
2. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Antragstellers ist entgegen der vom LG im angefochtenen Beschluss vertretenen Auffassung auch nicht mutwillig.
Mutwilligkeit i.S.v. § 114 ZPO liegt vor, wenn eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde und stattdessen den kostengünstigeren von zwei gleichwertigen prozessualen Wegen beschreitet(Zöller/Philippi, ZPO, 28. Aufl., § 114 Rz. 30, 34 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, wenn der Geschädigte seinen Schmerzensgeldanspruch auf dem Zivilrechtsweg geltend macht, obwohl er - anwaltlich vertreten - dieses Ziel auch im Adhäsionsverfahren hätte verfolgen können, denn es handelt sich bei den beiden Möglichkeiten nicht um gleichwertige prozessuale Möglichkeiten. Die Annahme des LG, eine verständige Partei ohne Prozesskostenhilfe würde ihre Rechte ohne die Sorge um Rechtsnachteile und kostengünstiger im Wege des Adhäsionsverfahrens verfolgen, hält einer Überprüfung nicht Stand. Dies gilt selbst dann, wenn der Geschädigte - wie hier der Antragsteller - als Nebenkläger im Strafverfahren aufgetreten ist.
Freilich ist es ein rechtspolitisches Anliegen, dem Adhäsionsverfahren zukünftig mehr Geltung zu verschaffen. Der erst vom Vermittlungsausschuss in das OpferRRG 2004 eingefügte § 406 Abs. 1 Satz 6 StPO erlaubt es dem Strafrichter, einen Antrag des Opfers auf Zuerkennung eines Schmerzensgeldes nur dann abzulehnen, wenn der Antrag "unzulässig ist oder soweit er unbegründet erscheint". Der bis dahin häufig anzutreffenden Praxis der Strafgerichte, dem Opfer ein Schmerzensgeld im Adhäsionsverfahren mit der Begründung zu versagen, dieses Verfahren verzögere das Strafverfahren, ist danach der Boden entzogen. Sofern das Strafgericht besondere Schwierigkeiten in der Bemessung des Schmerzensgeld sehen sollte, wäre es nicht gehindert, zumindest ein Grundurteil zu fällen (Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 406a Rz. 13). Richtig ist auch, dass das Adhäsionsverfahren zwar zunächst kostengünstiger gewesen wäre. Allerdings erhöht sich das Kostenrisiko des Antragstellers, wenn das Strafurteil mit der Entscheidung über den Entschädigungsanspruch vom Angeklagten und/oder der Staatsanwaltschaft angefochten und aufgehoben werden würde. Würde der Antragsteller danach gleichwohl noch das Zivilverfahren durchlaufen, hätte er letztlich das Kostenrisiko für vier Instanzen zu tragen (OLG Frankfurt in MDR 2007, 1389, 1390). Insofern würde der Zwang zur Geltendmachung der Schmerzensgeldansprüche im Adhäsionsverfahren die hilfsbedürftige Partei gegenüber einer vermögenden sogar benachteiligen. Es erscheint auch fraglich, ob sich das rechtspolitische Anliegen um Förderung des Adhäsionsve...