Verfahrensgang
AG Bergen/Rügen (Aktenzeichen 13 Ls 5/13) |
Tenor
Eine Haftprüfung durch den Senat nach §§ 121, 122 StPO ist derzeit nicht veranlasst.
Gründe
I.
1.
Der Angeklagte befand sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Bergen auf Rügen vom 29.11.2012 - 13 Gs 8/12 -, aufrechterhalten mit Beschluss des selben Gerichts vom 11.04.2013 - 13 Ls 5/13 -, seit seiner Festnahme am 29.11.2012 bis zu der auf die Beschwerde des Angeklagten mit Beschluss des Landgerichts Stralsund vom 22.05.2013 - 23 Qs 9/13 - erfolgten Aufhebung des Haftbefehls ununterbrochen in Untersuchungshaft in der JVA Stralsund. Mit dem Haftbefehl wurde ihm vorgeworfen, sich in dem Zeitraum von August bis November 2012 in Bergen auf Rügen des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß §§ 176 a Abs. 2 Nr. 1, 176 Abs. 1 StGB in drei Fällen zum Nachteil der damals dreizehnjährigen S. N. und als Person über 21 Jahre der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln an eine Person unter 18 Jahren gemäß § 29 a Abs. 1 Nr. 1 BtMG in zwei Fällen schuldig gemacht zu haben.
Die Staatsanwaltschaft hat wegen der in dem Haftbefehl dargestellten Tatvorwürfe unter dem 03.01.2013 vor dem Amtsgericht Bergen auf Rügen - Jugendschöffengericht - gemäß § 26 GVG Anklage erhoben, die mit Eröffnungsbeschluss vom 11.04.2013 - 13 Ls 5/13 - zur Hauptverhandlung zugelassen wurde.
2.
Die Hauptverhandlung begann am 23.05.2013, mithin am Tag nach der Entlassung des Angeklagten aus der Untersuchungshaft. Der Angeklagte räumte sexuelle Handlungen mit der Zeugin S. N. ein und gab an, nicht gewusst zu haben, dass sie unter vierzehn Jahre alt gewesen sei. Er habe ihr nur ein Mal einen Joint gegeben. Die Zeugin N. bekundete zunächst, dass sie drei oder vier Mal miteinander geschlafen hätten. Der Angeklagte habe gewusst, wie alt sie sei. Sie habe es ihm gesagt. Er habe von Anfang an gewusst, wann sie Geburtstag hatte, auch zu welcher Uhrzeit. Sie hätten zwei bis drei Mal zusammen einen Joint geraucht.
Nachdem die zur Tatzeit vierzehn Jahre alte Zeugin L. M. R. in der Hauptverhandlung weitere gemeinsame sexuelle Handlungen des Angeklagten mit der Zeugin N., dem Zeugen A. W. und ihr schilderte, bestätigte die Zeugin N. unter Darstellung weiterer Einzelheiten, dass sexuelle Handlungen auch zu Dritt und zu Viert stattgefunden hätten. Das Amtsgericht erließ daraufhin in der Hauptverhandlung erneut Haftbefehl gegen den Angeklagten, der um zwei weitere Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie ein Betäubungsmitteldelikt ergänzt wurde, verkündete diesen dem Angeklagten und fertigte ein Aufnahmeersuchen für die JVA Stralsund, wo sich der Angeklagte aufgrund des neuen Haftbefehls seit dem 23.05.2013 befindet. Das Amtsgericht verwies das Verfahren mit Beschluss vom selben Tag gemäß § 270 Abs. 1 StPO an das Landgericht Stralsund. Der Verteidiger legte gegen die Haftentscheidung vom 23.05.2013 mit Schreiben vom 24.05.2013 Beschwerde ein. Das Amtsgericht hielt am 27.05.2013 die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich.
3.
Die Staatsanwaltschaft legte die Akten dem Landgericht Stralsund wegen des Verweisungsbeschlusses vor und kündigte die Erhebung einer Nachtragsanklage an. Sie hält die Fortdauer der Untersuchungshaft ebenfalls für erforderlich und eine Vorlage an den Senat für unerlässlich.
II.
Eine Entscheidung des Senates ist derzeit - auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Verteidigung im Schriftsatz vom 05.06.2013 - nicht veranlasst.
1.
Wenn man der Ansicht folgen würde, dass durch die Erweiterung eines Haftbefehls die Sechs-Monats-Frist des § 121 StPO nicht erneut in Lauf gesetzt wird (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.09.2010 - 1 Ws 202-204/10 -), würde die Frist am 28.05.2013 ablaufen.
2.
Diese Auffassung vermag jedoch nicht zu überzeugen.
a) Nach überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur fallen unter "dieselbe Tat" im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO alle Taten des Beschuldigten von dem Zeitpunkt an, in dem sie - im Sinne eines dringenden Tatverdachts - bekannt geworden sind und in den bestehenden Haftbefehl hätten aufgenommen werden können, wobei es nicht darauf ankommt, ob sie Gegenstand desselben Verfahrens oder getrennter Verfahren sind. Die Frist des § 121 Abs. 1 StPO beginnt danach nicht erneut zu laufen, wenn die Untersuchungshaft aufgrund eines neuen oder erweiterten Haftbefehls vollzogen wird, wenn dieser lediglich Tatvorwürfe enthält, die bereits bei Erlass des ersten Haftbefehls - im Sinne eines dringenden Tatverdachts - bekannt waren. Wird dagegen erst nach dem Erlass des ersten Haftbefehls eine neue Tat - im Sinne eines dringenden Tatverdachts - bekannt und ergeht deswegen ein neuer oder erweiterter Haftbefehl, so wird dadurch ohne Anrechnung der bisherigen Haftdauer eine neue Frist von sechs Monaten in Gang gesetzt. Fristbeginn ist in diesem Fall der Zeitpunkt, ab dem wegen des neuen Tatvorwurfs erstmals die Voraussetzungen für den Erlass oder die Erweiterung eines Haftbefehls vorgelegen haben (vgl. KK-Schultheis, StPO, § 121 Rz. 10 f. m.w.N...