Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindesunterhalt: Folgen des Obhutswechsels des minderjährigen Kindes während des Kindesunterhaltsverfahrens
Leitsatz (amtlich)
1. Wechselt ein minderjähriges Kind während des laufenden Unterhaltsverfahrens seinen ständigen Aufenthalt vom gem. § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB bis zum Wechsel vertretungsbefugten Elternteil zu dem, der auf Zahlung von Kindesunterhalt in Anspruch genommen wird, wird der Antrag auf Zahlung von Unterhalt rückwirkend unzulässig.
2. Die Befugnis des vormals vertretungsberechtigten Elternteils zur Beauftragung eines Rechtsanwalts entfällt rückwirkend. Ebenso wie der vormalige gesetzliche Vertreter wird auch der Verfahrensbevollmächtigte Vertreter ohne Vertretungsmacht i.S.d. § 177 BGB.
3. Das Verfahren kann nicht mehr erstmals in der Beschwerdeinstanz für erledigt erklärt werden.
Normenkette
ZPO § 51; FamFG § 113; BGB §§ 106-107, 177, 1629 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
AG R (Beschluss vom 23.05.2011) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Teilanerkenntnis- und Endbeschluss des AG R - Familiengericht - vom 23.5.2011 - Az.: - geändert.
Der Antrag, die Antragsgegnerin zur Zahlung von Kindesunterhalt zu verpflichten, wird als unzulässig abgewiesen.
2. Gerichtskosten im Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Die übrigen Kosten trägt der Kindesvater.
3. Der Wert der Beschwerde wird auf bis zu ... Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die am ... 1994 geborene (jetzt 17-jährige) Antragstellerin hat die Antragsgegnerin, ihre Mutter, auf Zahlung von Kindesunterhalt in Anspruch genommen ...
Zum Zeitpunkt der Antragserhebung hat sie bei ihrem Vater gelebt. Dieser hat bei der Antragserhebung als ihr gesetzlicher Vertreter mitgewirkt. Die elterliche Sorge für die Antragstellerin üben ihre Eltern - abgesehen vom Aufenthaltsbestimmungsrecht - gemeinsam aus. Insoweit wird auf das Protokoll des Senats in der Sache 10 UF ... vom 18.11.2008 verwiesen. Seit dem 1.2.2011 lebt die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin.
Mit dem angefochtenen am 19.4.2011 verkündeten Beschluss hat das Familiengericht die Antragsgegnerin verpflichtet, an die Antragstellerin
- rückständigen Unterhalt für die Zeit vom 1.7.2010 bis zum 31.10.2010 i.H.v. ... Euro nebst Zinsen,
- in Abänderung des Anerkenntnisurteils des AG R vom 22.6.2006 für die Zeit vom 1.11.2010 bis zum 31.1.2011 ... % des Mindestunterhalts der 3. Altersstufe abzgl. des hälftigen Kindergeldes sowie
- einen Sonderbedarf für den Zeitraum 1.3.2010 bis zum 9.7.2010 i.H.v. ... Euro nebst Zinsen
- sowie Anwaltskosten i.H.v. ... Euro nebst Zinsen zu zahlen.
...
Mit ihrer Beschwerde wendet die Antragsgegnerin gegen diese Entscheidung ein, die Befugnis des Kindesvaters, G, die Antragsgegnerin zu vertreten, sei im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Familiengerichts am 29.3.2011 erloschen gewesen, nachdem die Antragstellerin im Februar 2011 auf Dauer zu ihr gezogen sei. Die erhobene Klage sei unzulässig geworden. Im Hinblick hierauf sei die Verpflichtung zur Zahlung der genannten ausgeurteilten Beträge zu Unrecht erfolgt. Vorsorglich hat sie der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin die vormals vom Kindesvater erteilte Verfahrensvollmacht entzogen.
Sie beantragt, unter Abänderung der am 23.5.2011 verkündeten Entscheidung des AG Rostock, Aktenzeichen ..., die Anträge der Beschwerdegegnerin/Antragstellerin, nachfolgend Antragstellerin genannt, zurückzuweisen.
Der Kindesvater hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen sowie seinerseits Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, an den Kindesvater einen Betrag i.H.v. ... Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.8.2010 zu zahlen.
Diese Beschwerde hat er mit Schriftsatz vom 22.12.2011 zurückgenommen.
Soweit er die Zurückweisung der Beschwerde beantragt hat, hat er ausgeführt, eine mangelnde Prozessführungsbefugnis der Antragstellerin habe erstinstanzlich nicht vorgelegen. Denn die Antragsgegnerin habe deren Unterhaltsanspruch ausdrücklich anerkannt. Da sie hierdurch lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt habe, habe es keiner Vertretung bedurft ...
Nachdem der Senat mit Beschluss vom 9.8.2011 sowie mit Hinweisschreiben vom 4.11.2011 seine Rechtsansicht dargelegt hatte, hat er die Parteien mit Beschluss vom 5.12.2011 darauf hingewiesen, dass beabsichtigt ist, gem. §§ 117 Abs. 3, 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG ohne eine erneute mündliche Verhandlung zu entscheiden ... Es ist Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen gegeben worden. Einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ist nicht widersprochen worden.
II.1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist gem. §§ 58 ff., 113, 117 ZPO zulässig. Sie ist insbesondere rechtzeitig (§ 63 FamFG) beim Familiengericht (§ 64 FamFG) eingelegt und begründet (§ 117 Abs. 1 FamFG) worden.
2. Sie ist auch begründet.
Zutreffend ist die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin der Ansicht, dass das Familiengericht den erhobenen Antrag auf Verpflichtung zur Zahlung von Unterhalt, eines Sonde...