Entscheidungsstichwort (Thema)
Heimunterbringungsvertrag: Schadenersatzanspruch aufgrund des Sturzes eines Heimbewohners
Leitsatz (amtlich)
1. Wenn sich bei einer ärztlichen Behandlung ein Risiko verwirklicht, das von der Behandlungsseite voll hätte beherrscht werden können und müssen, so muss sie darlegen und beweisen, dass sie alle erforderlichen organisatorischen und technischen Vorkehrungen ergriffen hatte, um das Risiko zu vermeiden. Voll beherrschbare Risiken sind dadurch gekennzeichnet, dass sie durch den Klinik- oder Praxisbetrieb gesetzt werden und durch dessen ordnungsgemäße Gestaltung ausgeschlossen werden können und müssen. Entsprechendes gilt für die Beweislastverteilung für die Haftung im Rahmen der Betreuung pflegebedürftiger Menschen in Heimen: zwar fällt der normale alltägliche Gefahrenbereich im Heim grundsätzlich in die Risikosphäre des Bewohners, so dass dieser im Schadensfall für die Pflichtverletzung und deren Kausalität darlegungs- und beweisbelastet ist. Im Bereich der voll beherrschbaren Risiken liegt aber andererseits eine konkrete Gefahrensituation vor, die gesteigerte (erfolgsbezogene) Obhutspflichten bezüglich des Heimbewohners auslöst und deren Beherrschung gerade einer speziell dafür eingesetzten Pflegekraft anvertraut ist. Deshalb greift eine Beweislastumkehr analog § 280 Abs. 1 S. 2 ein, so dass sich der Heimträger entlasten muss (Anschluss an OLG Hamm vom 27.01.2014, 17 U 35/13).
2. Diese Entlastung gelingt dem Heimträger nicht, wenn die zur individuellen Betreuung bei der Mobilisation einer schwerstbehinderten Heimbewohnerin per Gehwagen auf dem Flur eingesetzte Pflegekraft den Flur kurzzeitig verlässt, um einer Kollegin bei der Betreuung eines anderen Heimbewohners zu helfen und es deshalb zu einem Sturz der mobilisierten Heimbewohnerin kommt.
Orientierungssatz
1. Liegt im Bereich voll beherrschbarer Risiken eine konkrete Gefahrensituation vor, die gesteigerte Obhutspflichten bezüglich eine Heimbewohners auslöst und deren Beherrschung einer speziell dafür eingesetzten Pflegekraft anvertraut ist, greift dann, wenn in einer solchen Situation ein Heimbewohner stürzt, eine Beweislastumkehr ein, so dass sich der Heimträger entlasten muss (vgl. u.a. OLG Hamm, Urteil vom 27. Januar 2014, 17 U 35/13).(Rn. 4)
2. Konkreter Gegenstand einer besonderen Obhutspflicht kann sein, durch ständige Anwesenheit einer Pflegekraft sicherzustellen, dass ein Heimbewohner nicht unbeobachtet bleibt. (Rn. 7)
Normenkette
BGB § 241 Abs. 1, §§ 278, 280 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Schwerin (Urteil vom 06.02.2019; Aktenzeichen 3 O 32/17) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 06.02.2019, Az. 3 O 32/17, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird vorläufig auf 7.235,10 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Berufung hat nach Überzeugung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die zulässige Berufung ist unbegründet (I.). Der Beklagten wird die Rücknahme der Berufung nahegelegt (II.).
I. Das Landgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Beklagte haftet für die Folgen des Sturzes der Frau ... in Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Mobilisierungsmaßnahme aus übergegangenem Recht wegen einer Vertragsverletzung (§§ 241 Abs. 1, 280 Abs. 1 BGB) des für Frau ... abgeschlossenen Heimunterbringungsvertrags in der durch das Landgericht festgestellten (durch die Berufung nicht angegriffenen) Höhe.
Der Sturz beruhte auf einer schuldhaften Pflichtverletzung der Beklagten. In dem Sturz hat sich ein Risiko verwirklicht, dass von der Beklagten als Betreiberin der Pflegeeinrichtung vollständig hätte beherrscht werden können und müssen (1.), so dass die Beklagte hätte darlegen und beweisen müssen, dass der Sturz nicht auf einem Fehlverhalten des Pflegepersonals beruht; dieser Beweis ist der Beklagten nicht gelungen (2.).
1. Wenn sich bei einer ärztlichen Behandlung ein Risiko verwirklicht, das von der Behandlungsseite voll hätte beherrscht werden können und müssen, so muss sie darlegen und beweisen, dass sie alle erforderlichen organisatorischen und technischen Vorkehrungen ergriffen hatte, um das Risiko zu vermeiden. Voll beherrschbare Risiken sind dadurch gekennzeichnet, dass sie durch den Klinik- oder Praxisbetrieb gesetzt werden und durch dessen ordnungsgemäße Gestaltung ausgeschlossen werden können und müssen. Sie sind abzugrenzen von den Gefahren, die aus den Unwägbarkeiten des menschlichen Organismus bzw. den Besonderheiten des Eingriff...