Leitsatz (amtlich)

1. Auch ein sachlich zu Unrecht ergangener Verweisungsbeschluss und die diesem zugrunde liegende Entscheidung über die Zuständigkeit ist - im Interesse der Prozessökonomie und zur Vermeidung von Zuständigkeitsstreitigkeiten - grundsätzlich bindend, außer er entbehrt jeglicher gesetzlicher Grundlage und stellt sich damit als objektiv willkürlich dar.

2. Die Bindungswirkung ist regelmäßig auch im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten, weshalb der erste mit solcher Wirkung erlassene Verweisungsbeschluss im Bestimmungsverfahren fortwirkt.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 21 O 269/07)

LG Neubrandenburg (Aktenzeichen 4 O 107/07)

 

Tenor

Das LG Berlin wird zum zuständigen Gericht bestimmt.

 

Gründe

I. Mit Schriftsatz vom 30.4.2007 hat die Klägerin beim LG Neubrandenburg zunächst Klage auf Rückzahlung von Darlehen gegen die A.-F.-V.- und D. GmbH (im Folgenden: GmbH) erhoben, die jetzt in ..., bei Darlehensgewährung im Mai 2006 jedoch in ... ansässig gewesen sein soll. Mit Schreiben vom 10.5.2007, beim LG eingegangen vor Verfügung der Zustellung der Klageschrift, hat die Klägerin das Passivrubrum berichtigt in "Frau A. M. S., c/o ... GmbH,". Dazu hat sie mitgeteilt, die Beklagte sei unter der von ihr angegebenen Adresse nicht mehr wohnhaft, auch nicht unter der von der Meldebehörde angegebenen neuen Adresse in B., S.-Str. In D. befänden sich weder eine gewerbliche noch eine private Adresse der GmbH oder der Beklagten. Sie, die Klägerin, gehe davon aus, dass sich die Beklagte an ständig wechselnden Orten aufhalte, ihren gewöhnlichen Aufenthalt aber in Rechlin habe, wo die GmbH Eigentümerin mehrerer Ferienimmobilien sei.

Bereits mit Zustellung der Klageschrift und Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens durch Verfügung vom 4.6.2007 wies das LG darauf hin, dass seine örtliche Zuständigkeit wohl nicht gegeben sei, da die Beklagte nicht im Landgerichtsbezirk Neubrandenburg wohnhaft sei. Auch sei die Beklagte nicht passivlegitimiert, da Darlehensnehmerin die GmbH sei.

Mit Schriftsatz vom 13.6.2007 stellte die Klägerin klar, dass sie die Beklagte nicht aus Darlehen, sondern aus Bürgschaften vom 26.5.2006 in Anspruch nehme, die die Beklagte als Sicherheit für die am selben Tag der damals in Rechlin ansässigen GmbH gewährten Darlehen gegeben habe. Dazu legte sie den Bürgschaftsvertrag vom 26.5.2006 vor, in dem als Anschrift der Beklagten (als Bürgin) A.-Str. in D. und als Hauptschuldnerin die A.-F.-V.- und D. GmbH in R. angegeben sind. Hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit des LG Neubrandenburg hielt die Klägerin an ihrer Auffassung fest, beantragte jedoch hilfsweise die Verweisung des Rechtsstreits an das für den letzten angegebenen Wohnsitz in B. zuständige LG.

Die Beklagte zeigte mit Schriftsatz vom (ebenfalls) 13.6.2007 ihre Verteidigungsbereitschaft an, rügte die örtliche Zuständigkeit des LG Neubrandenburg und beantragte die Verweisung an das (für D. zuständige) LG Aachen. Dazu führte sie im Schriftsatz vom 21.6.2007 unter Vorlage einer entsprechenden Meldebescheinigung weiter aus, die Beklagte habe bis 31.12.2005 ihren Wohnsitz in D., M.-Str. gehabt und sei mit Wirkung vom 1.1.2006 nach B., L. ufer umgezogen. Mit Nebenwohnsitz sei sie nach wie vor in D. gemeldet. Die GmbH unterhalte in R. keinen Sitz mehr, auch die Beklagte halte sich dort nicht vorwiegend auf. Hilfsweise beantragte die Beklagte sodann die Verweisung an das LG Berlin.

Das LG Neubrandenburg wies die Parteien mit Beschluss vom 27.6.2007 darauf hin, dass seine örtliche Zuständigkeit weder nach § 12 ZPO noch nach § 29 ZPO gegeben sei und regte einen Verweisungsantrag durch die Klägerin an das LG Berlin an, das zuständig sei. Mit Schriftsatz der Klägerin vom 3.7.2007 erfolgte ein solcher Antrag, worauf sich das LG Neubrandenburg mit Beschluss vom 5.7.2007 unter Bezugnahme auf seinen Hinweisbeschluss vom 27.6.2007 für örtlich unzuständig erklärte und den Rechtsstreit an das LG Berlin verwies.

Dieses erklärte sich - ohne vorherige Anhörung der Parteien - mit Beschluss vom 19.7.2007 ebenfalls für örtlich unzuständig und legte die Sache gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dem OLG Brandenburg vor. Zur Begründung führte das LG Berlin aus, der Erfüllungsort der streitgegenständlichen Bürgschaftsforderung und damit der Gerichtsstand bestimmten sich nach dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses, der ausweislich der Anlage K 4 im Bezirk des LG Neubrandenburg begründet gewesen sei. Die Klägerin habe mit Klageerhebung außerdem von ihrem Wahlrecht nach § 35 ZPO Gebrauch gemacht, so dass sich die Provozierung von Verweisungsanträgen als rechtsmissbräuchlich darstelle. Die Verweisung sei schließlich auch deshalb nicht bindend, weil das LG Neubrandenburg mit § 269 Abs. 1 BGB eine seine Zuständigkeit begründende Vorschrift in einer den Vorwurf der Willkür begründenden Nachlässigkeit nicht beachtet habe.

Das Brandenburgische OLG gab die Akten unter Hinweis auf § 36 Abs. 2 ZPO mit Verfügung vom 2.8.2007 dem LG Berlin wieder zurück, welc...

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