Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur ausnahmsweisen Zulässigkeit eines erst nach Erlass einer außerhalb einer Hauptverhandlung ergangenen Entscheidung angebrachten Befangenheitsgesuchs mit Blick auf mögliche künftige Entscheidungen desselben Spruchkörpers in gleicher Sache. Konsequenzen aus der vorzeitigen Auflösung einer Hilfsstrafkammer für etwaige Nachfolgeentscheidungen nach § 126 Abs. 2 Satz 2 StPO
Leitsatz (amtlich)
1. Ein erst aus Anlass einer außerhalb einer Hauptverhandlung bereits ergangenen Entscheidung angebrachtes Befangenheitsgesuch gegen die daran beteiligten Richter ist ausnahmsweise zulässig, wenn es u.a. damit begründet wird, derselbe Spruchkörper in gleicher Besetzung bleibe künftig für etwaige weitere Entscheidungen nach § 126 Abs. 2 Satz 2 StPO zuständig.
2. Die rechtsirrtümlich fehlerhafte Ablehnung eines solchen Befangenheitsgesuchs als unzulässig unter Mitwirkung der abgelehnten Richter hindert das Beschwerdegericht grundsätzlich nicht an einer eigenen Entscheidung. Dieses kann erforderlichenfalls auch die fehlenden dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter noch im Beschwerdeverfahren einholen.
3. Dass über das zulässige Ablehnungsgesuch unter Mitwirkung der abgelehnten Richter entschieden wurde, statt in der durch § 27 StPO vorgeschriebenen Besetzung gibt nur dann einen Anlass zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Ausgangsgericht, wenn die Einschätzung der abgelehnten Richter, das Gesuch wäre unzulässig, auf Willkür beruht und der Beschwerdeführer dadurch seinem gesetzlichen Richter entzogen wurde.
4. Die unter Nichtberücksichtigung etwa notwendiger Folgeentscheidungen nach § 126 Abs. 2 Satz 2 StPO erfolgte vorzeitige Auflösung einer Hilfsstrafkammer ohne Neuzuweisung der Sache an einen anderen Spruchkörper hat zur Folge, dass das Verfahren in die ursprüngliche Zuständigkeit der vertretenen Strafkammer zurückfällt.
Normenkette
StPO §§ 25, 26a, 27, 126 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
LG Rostock (Entscheidung vom 30.03.2016; Aktenzeichen 364 Js 24937/13 - 2 KLs 291/14) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der 8. Großen Strafkammer als Wirtschaftstrafkammer des Landgerichts Rostock vom 30.03.2016 wird als unbegründet verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Vor dem Landgericht Rostock waren ursprünglich zwei Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer anhängig: Das Verfahren 18 KLs 99/15 (im Folgenden: "L. I") zunächst bei der 8. Großen Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer (1) und das diesem Beschwerdeverfahren zu Grunde liegende Verfahren 2 KLs 291/14 (im Folgenden: "L. II") bei der mit Präsidiumsbeschluss vom 19.11.2014 zur Entlastung der 8. Großen Strafkammer eingerichteten 8a. Hilfsstrafkammer als Große Wirtschaftsstrafkammer (2).
1. Im Verfahren "L. I" hat der Senat mit Beschluss vom 22.06.2015 - 20 Ws 168/15 - die dort gegen die Richter der 8. Großen Strafkammer VRiLG F., RiLG H. und RiAG N. gerichteten Befangenheitsgesuche des Angeklagten für durchgreifend erachtet, weil sie, nachdem sie nahezu zwei Monate lang nicht über den Antrag der Staatsanwaltschaft entschieden hatten, den in jenem Verfahren bestehenden Haftbefehl nach Maßgabe der Anklageschrift neu zu fassen, schließlich einen mündlichen Haftprüfungstermin anberaumt und unmittelbar vor dessen Beginn dem seinerzeit Angeschuldigten einen als Haftbefehl bezeichneten und bereits auf rotem Papier ausgefertigten Beschluss überreicht hatten, den sie ausweislich ihrer dienstlichen Äußerungen zum Befangenheitsantrag bereits als dessen von der Staatsanwaltschaft beantragte Neufassung ansahen und der zudem den formalen Anforderungen des § 114 Abs. 2 StPO weitgehend nicht genügte.
Mit dem Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 2016 (vgl. dort Anlage 4, vorletzter Absatz) ist dieses Verfahren zur Entlastung der 8. Großen Strafkammer auf die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Rostock übertragen worden. Ein Termin zur Hauptverhandlung wurde bislang nicht bestimmt.
2. Hinsichtlich des bisherigen Verlaufs des Verfahrens "L. II" verweist der Senat zunächst auf die Darstellungen in seinen Beschlüssen vom 22.06.2015 - 20 Ws 168/15 -, vom 14.07.2015 - 20 Ws 179/15 - und vom 18.11.2015 - 20 Ws 313/15 - und nimmt darauf wegen der Einzelheiten Bezug.
Mit nicht rechtskräftigem Urteil der 8a. Hilfsstrafkammer vom 02.10.2015 wurde der Angeklagte wegen (bandenmäßiger) Steuerhinterziehung in drei Fällen (jeweils im besonders schweren Fall) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt und mit gesondertem Beschluss vom selben Tag gemäß § 268b StPO Haftfortdauer angeordnet. Gegen das Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt, über die vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden wurde.
Nachdem seine Beschwerde vom 28.10.2015 gegen die Haftfortdauerentscheidung vom 02.10.2015 erfolglos geblieben war (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 18.11.2015 - 20 Ws 313/15), beantragte der Angeklagte am 26.02.2016 erneut die Aufhebung, hilfsweise die Außervollz...