Leitsatz (amtlich)
1. Eine technische Regel ist allgemein anerkannt, wenn sie der Richtigkeitsüberzeugung der technischen Fachleute im Sinne einer allgemeinen wissenschaftlichen Anerkennung entspricht und darüber hinaus in der Praxis erprobt und bewährt ist; auf beiden Stufen muss die technische Regel der überwiegenden Ansicht (Mehrheit) der technischen Fachleute entsprechen.
2. Diese Feststellung bedingt eine Auswertung des jeweiligen Meinungsstandes, während die Bewertung einer bestimmten Art der Bauausführung allein durch den beauftragten Gerichtssachverständigen unter Bezugnahme auf lediglich zwei Werke der Fachliteratur nicht ausreicht.
Normenkette
VOB B § 13 Abs. 1 S. 2
Tenor
I. Den Parteien wird unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten der Abschluss eines wie folgt zu formulierenden Vergleiches vorgeschlagen:
1. Der Beklagte verpflichtet sich zur Erledigung dieses Rechtsstreits, an den Kläger 14.500,00 EUR zu zahlen.
2. Mit diesem Vergleich sind sämtliche wechselseitigen Forderungen der Parteien aufgrund des Auftrages gemäß dem Verhandlungs- und Vergabeprotokoll vom 07.04.2010 über Dachdecker- und Zimmererarbeiten bei dem Bauvorhaben "Sanierung des ...", seien sie erkennbar oder nicht, erledigt.
3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 2/3, der Beklagte zu 1/3.
II. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme auf den Vergleichsvorschlag und auf die unten erteilten Hinweise binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
III. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird vorläufig auf bis zu 45.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Dem Vergleichsvorschlag liegen bei vorläufiger Einschätzung der Sach- und Rechtslage die folgenden Überlegungen zugrunde:
1. Zunächst ist nach den bisher in tatsächlicher Hinsicht gewonnenen Erkenntnissen eine Mangelhaftigkeit der von dem Beklagten erbrachten Leistungen allenfalls in geringfügigen Teilbereichen anzunehmen.
a. Die von dem Beklagten erstellte Dachkonstruktion entspricht in ihrer Ausführung als unbelüftetes so genanntes Warmdach der insoweit zwischen den Parteien vereinbarten Beschaffenheit; damit wird sie der subjektiven Komponente für den Ausschluss einer Mangelhaftigkeit nach § 13 Abs. 1 Satz 2 VOB/B gerecht. Ohne ausreichende Grundlage ist das Landgericht dann davon ausgegangen, dass die so ausgeführte Dachkonstruktion aber deshalb nicht die kumulativ erforderliche weitere (objektive) Voraussetzung für eine Mangelfreiheit nach der genannten Vorschrift erfülle, weil sie bereits ihrer Art nach nicht den anerkannten Regeln der Technik entspreche (vgl. Jansen/Kandel/Preussner-Koenen, BeckOK VOB/B, Stand: 31.01.2020, § 13 Abs. 1 Rn. 17 m. w. N.).
aa. Entspricht das Werk nicht den anerkannten Regeln der Technik im maßgeblichen Zeitpunkt der Abnahme (vgl. BGH, Urteil vom 14.11.2017, Az.: VII ZR 65/14, - zitiert nach juris-, Rn. 25 m. w. N.), liegt regelmäßig ein Mangel vor, der den Auftragnehmer zur Sachmängelhaftung verpflichtet, ohne dass es einer zusätzlichen Beeinträchtigung des Bauwerkes bedarf. Denn es ist dem Auftraggeber nicht zuzumuten, solange zu warten, bis sich ein Schaden zeigt; es genügt insoweit, dass sich durch die Abweichung von den anerkannten Regeln der Technik das Schadensrisiko erhöht hat (vgl. Kapellmann/Messerschmidt-Langen, VOB/A und B, 7. Aufl., 2020, § 13 VOB/B Rn. 50 f. m. w. N.). Hier könnte daher unter solchen Umständen offen bleiben, ob konkret aufgetretene Feuchtigkeitserscheinungen in der Dachkonstruktion auf die Leistungen des Beklagten zurückzuführen sind oder doch erst auf Arbeiten im Rahmen des zweiten Bauabschnitts mit dem Einbau der Dachfenster und des Schornsteins, woran der Beklagte unstreitig nicht mehr beteiligt war. Eine technische Regel ist allgemein anerkannt, wenn sie der Richtigkeitsüberzeugung der technischen Fachleute im Sinne einer allgemeinen wissenschaftlichen Anerkennung entspricht und darüber hinaus in der Praxis erprobt und bewährt ist; auf beiden Stufen muss die jeweilige technische Regel der überwiegenden Ansicht (Mehrheit) der technischen Fachleute entsprechen. Vor diesem Hintergrund besteht eine Vermutung dafür, dass kodifizierte technische Normen wie solche nach der DIN die "allgemein anerkannten Regeln der Technik" wiedergeben, weil diese Regelwerke zumeist auf Grund der vorherrschenden Ansicht der technischen Fachleute erstellt worden sind. Diese Vermutung ist jedoch widerlegbar insbesondere dann, wenn etwa Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Norm veraltet oder überholt ist (vgl. Seibel, Abgrenzung der "allgemein anerkannten Regeln der Technik" vom "Stand der Technik", NJW 2013, 3000/3001 m. w. N.).
bb. Nicht belüftete Dächer der in dem vorliegenden Fall streitgegenständlichen Art, bei denen sich Holz oder Holzwerkstoffe zwischen Dachabdichtung und diffusionshemmender Schicht befinden, waren nach den Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. ... nach der DIN 4108 mit Stand von Juli 2001 zur Zeit der Abnahme hier im Jahr 2010 noch ohne Einschränkung zulässig; eine Änderung des betreffenden Regelwerkes...