Entscheidungsstichwort (Thema)

Strafanzeige durch den Richter und Befangenheit

 

Leitsatz (amtlich)

Hat der Richter vor längerer Zeit eine Strafanzeige gegen eine der Parteien gestellt und den Versuch unternommen, seine Rechte gegenüber dieser Partei in einem Zivilprozess durchzusetzen, begründet dies nicht schon regelmäßig die Besorgnis der Befangenheit.

 

Verfahrensgang

LG Stralsund (Aktenzeichen 7 O 116/21)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Landgerichts Stralsund vom 28.10.2021 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den vorliegenden Rechtsstreit zuständige Richter am Landgericht S. hat gem. § 48 ZPO folgende Anzeige eines Verhältnisses erstattet, welches seine Ablehnung als Richter rechtfertigen könnte:

"Vor einigen Jahren hatte ich auf dem später von der Klägerin erworbenen Grundstück auf dem D. einen Raum gemietet. Die Zugangstür war mit einem Vorhängeschloss gesichert. Die Klägerin bzw. deren Vorstand, Herr M., ließ das Schloss beseitigen und durch ein anderes Vorhängeschloss ersetzen. Ich habe daraufhin Herrn M. wegen Diebstahls angezeigt. Es folgte auch ein von mir eingeleitetes einstweiliges Verfügungsverfahren."

Dies ist dem Klägervertreter mit Verfügung vom 15.09.2021 mitgeteilt worden.

Der Kläger hat den zuständigen Einzelrichter, Richter am Landgericht S., daraufhin mit

Schriftsatz seines Prozessvertreters vom 21.09.2021 wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und dazu u.a. ausgeführt:

"... Die hieraus folgende Tatsache, dass sich der nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständige Einzelrichter S. und die Klägerin in einem Prozessverfahren als Prozessbeteiligte gegenübergestanden haben, begründet gerade auch vor dem Hintergrund, dass das gleiche Grundstück wie in dem hier zu entscheidenden Rechtsstreit betroffen ist, die Gefahr, dass der zuständige Einzelrichter dem Rechtsstreit nicht unvoreingenommen gegenübersteht. Soweit ferner strafrechtliche Vorwürfe gegenüber dem Vorstand der Klägerin formuliert und offensichtlich zur Anzeige gebracht worden sind, ist zu besorgen, dass mit sachfremden Erwägungen Einfluss auf die Entscheidungsfindung des Gerichtes genommen wird. ...".

Mit Beschluss vom 28.10.2021 hat das Landgericht das Befangenheitsgesuch zurückgewiesen. Dies hat es im Wesentlichen damit begründet, dass allein die Tatsache, dass ein Richter gegen einen Verfahrensbeteiligten einmal Strafanzeige erstattet habe, nicht die Annahme rechtfertige, er sei grundsätzlich gegenüber der Partei befangen, zumal der Sachverhalt mehr als 10 Jahre zurückliege und ein eigenes Verhalten der Klägerin hierfür ursächlich gewesen sei. Im Übrigen sei die Strafanzeige vom abgelehnten Richter offenbar nicht weiterverfolgt worden. Weitere Umstände, die eine Befangenheit begründen könnten, seien nicht vorgetragen worden. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird insoweit auf den Beschluss des Landgerichts vom 28.10.2021 verwiesen.

Hiergegen hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 11.11.2021 sofortige Beschwerde eingelegt. Die Klägerin rügt, das Landgericht habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass es maßgeblich auf die Sicht des Ablehnenden ankomme. Danach würden vorliegend genügend objektive Gründe vorliegen, Zweifel an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters zu begründen. Der abgelehnte Richter habe seinerzeit als Volljurist von einer unberechtigten Person aus dem Hartz-IV-Millieu einen Raum auf dem klägerischen Grundstück angemietet, ohne dass verkäuferseitig ein Mietvertrag hierüber habe vorgelegt werden können. Es sei deshalb seinerzeit für die Klägerin unumgänglich gewesen, Schlösser dort zu öffnen, wo Mietverträge nicht vorgelegen hätten. Die hieraus resultierende Strafanzeige des abgelehnten Richters begründe deshalb die Besorgnis einer nicht mehr bestehenden Unvoreingenommenheit. Der Zeitablauf sei insoweit unerheblich, ebenso dass der abgelehnte Richter die Strafanzeige nicht weiter verfolgt habe, denn bereits mit der Strafanzeige selbst habe er die Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft initiiert.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II. Die gemäß §§ 46 Abs. 2, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde vom 11.11.2021 hat keinen Erfolg.

Das Landgericht hat das Befangenheitsgesuch zu Recht zurückgewiesen.

Die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit findet gem. § 42 Abs. 2 ZPO nur statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Entscheidend ist, ob ein Prozessbeteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit eines Richters zu zweifeln (BVerfG, Beschluss vom 02.12.1992 - 2 BvF 2/90 -, NJW 1993, 2230, beck-online; BGH, Beschluss vom 14.03.2003 - IXa ZB 27/03 -, NJW-RR 2003, 1220, 1221, beck-online; Beschluss v. 12.10. 2011 - V ZR 8/10, NJW-RR 2012, 61, beck-online; Zöller/Vollkommer, ZPO, 34. Aufl., § 42 R...

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