Entscheidungsstichwort (Thema)
Mehrere gleichzeitig erstellte Testamente
Leitsatz (amtlich)
Liegen zwei Testamente vor und kann nicht ermittelt werden, welches davon später errichtet worden ist, gelten beide Testamente als gleichzeitig errichtet mit der Folge, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Errichtung des späteren Testaments gemäß § 2258 Abs. 1 BGB zur Aufhebung des früheren Testaments führt, soweit das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch steht. Widersprechen sich gleichzeitig errichtete letztwillige Verfügungen, so sind sie in ihren unvereinbaren Teilen unwirksam.
Normenkette
BGB § 119 Abs. 2, §§ 1949, 2258 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Stralsund (Beschluss vom 03.11.2020; Aktenzeichen 532 VI 168/19) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 5) wird der Beschluss des Amtsgerichts Stralsund vom 03.11.2020, Az. 532 VI 168/19, aufgehoben. Der Erbscheinsantrag der Antragstellerin vom 21.02.2019 wird zurückgewiesen.
2. Die Beteiligte zu 1) trägt die Gerichtskosten des Erbscheinsverfahrens beider Instanzen. Rechtsanwaltskosten der Beteiligten sind nicht zu erstatten.
3. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 500.000,- EUR
Gründe
I. Der Erblasser verstarb am 7.10.2018 in Z. und hinterließ im wesentlichen sein Hausgrundstück R. im O. Z.. Seine Ehefrau war schon am 11.9.1998 vorverstorben. Die Beteiligten zu 1 und 3 sind die Töchter des Erblassers, der Beteiligte zu 5 ist sein Sohn. Der weitere Sohn des Erblassers, U. K., war schon am 7.8.2004 verstorben, die Beteiligte zu 2 ist dessen Tochter und der Beteiligte zu 4 dessen Sohn. Die Beteiligte zu 6 war bis zu seinem Ableben die Lebensgefährtin des Erblassers.
Der Erblasser ließ sich am 5.7.2011 durch Rechtsanwältin M.-H. aus R.-D. hinsichtlich der Regelung seines Nachlasses beraten. Diese übersandte dem Erblasser am 25.8.2011 seinen Vorstellungen entsprechend einen maschinenschriftlichen Testamentsentwurf, mit dem die Beteiligten zu 1 und 5 zu seinen Erben bestimmt werden sollten. Der Entwurf enthält zugunsten der Beteiligten zu 6 als Vermächtnis ein unentgeltliches lebenslanges Nießbrauchsrecht an dem Hausgrundstück des Erblassers, ferner wollte er ihr den gesamten beweglichen Nachlass vermachen. Der Beteiligte zu 4 sollte ein Vermächtnis in Höhe von 2.000 EUR erhalten. Rechtsanwältin M.-H. rechnete die Beratung am 19./20.6.2012 gegenüber dem Erblasser ab, dieser bezahlte mithilfe der Beteiligten zu 6 die Rechnung.
Der Erblasser verfasste sodann zwei handschriftliche unterschriebene Testamente mit Datum vom 4.7.2012, eines auf kariertem Papier (sog. kariertes Testament) und eines auf liniertem Papier (sog. liniertes Testament). In beiden Testamenten wurden die Beteiligten zu 1 und 5 als Erben bestimmt, sodass die Beteiligten zu 2, 3 und 4 enterbt sind. Beide Testamente enthalten als Vermächtnis ein lebenslanges Wohnrecht der Beteiligten zu 6 am Hausgrundstück. Beide Testamente enthalten ferner ein Vermächtnis zugunsten des Beteiligten zu 4 in Höhe von 2.000 EUR. Das Testament auf kariertem Papier enthält als Vermächtnis zudem ein lebenslanges unentgeltliches Nießbrauchsrecht der Beteiligten zu 1 am Hausgrundstück, in dem Testament auf liniertem Papier fehlt dieser Passus.
Die Beteiligten streiten über die Frage, welches das maßgebliche jüngere Testament ist. Die Beteiligte zu 1 hält das karierte Testament für das maßgebliche jüngere, weil der Erblasser es in einem Hefter mit den wichtigen Dokumenten abgelegt habe. Das linierte Testament sei von dem maschinenschriftlichen Entwurf der Rechtsanwältin abgeschrieben worden, danach sei angesichts des Wortlautes das karierte Testament vom linierten Testament abgeschrieben worden. Das linierte Testament stelle nach allem nur einen Entwurf bzw. die Vorfassung dar. Der Beteiligte zu 5 ist der Auffassung, dass der Ort der Auffindung ohne Bedeutung sei. Ferner ergebe sich aus den Angaben der Lebensgefährtin des Erblassers, der Beteiligten zu 6, dass der Erblasser nach der Beratung durch die Rechtsanwältin das Testament auf liniertem Papier als maßgeblich angesehen und in einem weißen Umschlag mit der Aufschrift "Testament" verwahrt habe, den die Beteiligte zu 6 erst nach dem Erbfall aufgefunden habe.
Das karierte Testament wurde am 2.11.2018 eröffnet, das linierte Testament erst am 21.3.2019.
Der Beteiligte zu 5 hat in Kenntnis des karierten Testaments am 26.11.2018 die Erbschaft ausgeschlagen. Nachdem er am 11.2.2019 Kenntnis vom linierten Testament erlangt hat, hat er am 26.2.2019 die Ausschlagung angefochten, da er sich über die Belastung des Nachlasses mit einem Nießbrauchsrecht, über die Pflicht zur persönlichen Erfüllung der Vermächtnisse und Pflichtteilsansprüche sowie über den Berufungsgrund geirrt habe.
Die Beteiligte zu 1 hat am 21.2.2019 einen Erbschein beantragt, der sie als Alleinerbin ausweist. Der Beteiligte zu 5 ist dem entgegengetreten und begehrt einen Erbschein, der die Beteiligten zu 1 und 5 als Miterben je zur Hälfte ausweist.
Das Amtsgericht hat nach Anhörung der Beteil...