Leitsatz (amtlich)
1. Die kongruente, weil vertragsgemäße Fortführung der Kontokorrentabsprache wird nicht deshalb inkongruent, weil innerhalb des kritischen Zeitraums vor Beantragung des Insolvenzverfahrens die Gutschriften im Endergebnis höher sind als die Belastungen.
2. Die Rückführung des Kredits ist ein anfechtungsfreies Bargeschäft gem. § 142 InsO, wenn die Bank bei Offenhalten der Kreditlinie ihre Pflichten aus dem Kontokorrentvertrag vertragsgemäß erfüllt, Gutschriften und Belastungen in gleicher Weise bucht.
Verfahrensgang
LG Rostock (Urteil vom 23.04.2004; Aktenzeichen 10 O 517/03) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 23.4.2004 verkündete Urteil des LG Rostock (Az.: 10 O 517/03) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe stellt.
Streitwert der Berufung: 25.398,35 EUR.
Gründe
I. Der Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögens des V. "D.D." nimmt nach Insolvenzanfechtung die Beklagte auf Rückzahlung von 25.398,35 EUR in Anspruch.
Am 25.12.2002, dem Beginn des dem Insolvenzantrag vorangehenden Monats, war das Konto des Schuldners bei der Beklagten mit 25.398,35 EUR im Soll. In der Folgezeit wurden regelmäßig Zahlungseingänge, vor allem Lohnkostenzuschüsse des Arbeitsamts, insgesamt 113.463,91 EUR gutgeschrieben, davon allein in der der Zeit vom 09. bis 15.1.2003 93.898,04 EUR. Außer der Abbuchung von Kontoführungskosten mit einem Gesamtbetrag von 204,11 EUR wurde das Konto wie folgt belastet:
3.1.2003 757.27 EUR
9.1.2003 457,60 EUR
15.1.2003 82.769,25 EUR
16.1.2003 124,80 EUR
124,80 EUR
20.1.2003 70 EUR.
Die Abbuchung vom 15.1.2003 war ein Datenträgeraustauschauftrag, der 28 Einzelüberweisungen zusammenfasste. Nach dieser Belastung war das Konto mit 13.272,32 EUR im Soll. Danach reduzierte sich der Debetsaldo stetig; am 21.1.2003 war ein Guthaben von 131,27 EUR erreicht. Mit Schreiben vom 23.1.2003 kündigte die Beklagte den Kontokorrentkredit. Am 24.1.2003 beantragte der Schuldner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen. Das Guthaben auf dem Konto zahlte die Beklagte an den Kläger aus.
Der Kläger hat die Rückführung des Debetsaldos in dem letzten Monat vor Beantragung des Insolvenzverfahrens angefochten. Das LG wies seine Klage ab. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Zu deren Begründung trägt er vor, es liege eine inkongruente Deckung vor, weil die Beklagte den Debetsaldo auf dem Girokonto durch Verrechnung mit eingehenden Gutschriften zurückgeführt habe, ohne den Kontokorrentkredit zuvor gekündigt zu haben. In dem Monat vor Beantragung des Insolvenzverfahrens habe die Beklagte nur sechs Belastungsbuchungen zugelassen bzw. vorgenommen.
Der Kläger beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 25.398,35 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.7.2003 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur Verteidigung des angefochtenen Urteils trägt sie vor, die Rückführung des Überziehungskredits sei kongruent, weil sie alle Verfügungen des Schuldners vertragsgemäß ausgeführt habe.
II. Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
1. Die Rückführung des Debetsaldos im letzten Monat vor Beantragung des Insolvenzverfahrens bis zur Kündigung des Kontokorrentkredits ist nicht wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung gem. § 133 Abs. 1 InsO, aber auch nicht als inkongruente Deckung gem. § 131 InsO anfechtbar. Zu Recht und in Einklang mit der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 7.3.2002 - IX ZR 223/01, BGHZ 150, 122 = NJW 2002, 1722 = ZIP 2002, 812) sieht das LG die Kontobewegungen nicht als inkongruent an.
In seinem Urteil vom 7.3.2002 geht der BGH davon aus, dass die Rückführung des ungekündigten Kredits in der kritischen Zeit vor Beantragung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich auch dann inkongruent ist, wenn sie durch Saldierung im Kontokorrent erfolgt (vgl. den 3. Leitsatz). Dies gilt indessen nicht, wenn die Bank die Kontokorrentkreditabsprache einhält und den Giroverkehr wie zuvor fortsetzt. Dann handelt sie vertragsgemäß, also kongruent (so auch das frühere Urteil vom 25.2.1999, NJW 1999, 3264 = ZIP 1999, 665 = MDR 1999, 818, sowie das spätere v. 1.10.2002 - IX ZR 360/99, NJW 2003, 360 = ZIP 2002, 2118). Dies setzt voraus, dass die Bank dem Kunden die Kreditlinie belässt und ihn weiter in bisherigem Maß verfügen lässt, so dass ihm die Möglichkeit bleibt, über Eingänge nach seinem Ermessen wieder zu verfügen. Die kongruente, weil vertragsgemäße Fortführung der Kontokorrentabsprache wird nicht deshalb inkongruent, weil innerhalb des kritischen Zeitraums vor Beantragung des Insolvenzverfahrens die Gutschriften im Endergebnis höher sind als die Belastungen (so auch Kreft in HK, InsO, 3. Aufl., § 142 Rz. 19; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 12. Aufl., § 130 Rz. 14).
Im Schrifttum wird das BGH-Urteil vom 7.3.2002 unterschiedlich interpret...