Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung durch den Mieter wegen schwerer Erkrankung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Recht zur fristlosen Kündigung aus § 543 Abs. 1 BGB kann vertraglich nicht abbedungen werden.

2. Die Interessenabwägung des § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB muss sich an dem gesetzlichen Leitbild des Mietrechts ausrichten.

3. Jedenfalls in einem Gewerberaummietverhältnis rechtfertigt die Erkrankung des Mieters nicht dessen fristlose Kündigung.

4. Besteht Unklarheit, ob die Parteien tatsächlich im Vertrag eine Regelung getroffen haben, etwa, weil er sprachliche Unklarheiten enthält, ist der Vertrag zunächst auszulegen. Kann so festgestellt werden, was die Parteien geregelt haben, liegt ein Verstoß gegen das Schriftformerfordernis des § 550 BGB nicht vor.

 

Normenkette

BGB §§ 537, 543 Abs. 1 S. 2, § 550

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 29.08.2019 - Az.: 4 O 75/17 - abgeändert und die Beklagten verurteilt, an die Klägerin weitere 21.658,00 EUR nebst Zinsen i. H. v. 9 Prozentpunkten auf jeweils 2.707,25 EUR seit dem 06.05.2017, 06.06.2017, 06.07.2017, 06.08.2017, 06.09.2017, 06.10.2017, 06.11.2017 und 06.12.2017 zu zahlen.

2. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 21.658,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt - soweit für das Berufungsverfahren noch von Interesse - die unbekannten Erben des am 16.10.2017 verstorbenen freischaffenden Künstlers N. P. (nachfolgend Erblasser) auf Zahlung von Miete betreffend den Peilturm Arkona in Anspruch.

Die Klägerin und der Erblasser waren zuletzt durch einen befristeten Mietvertrag verbunden, der zum 31.12.2017 enden sollte. Der Vertrag enthielt zugleich Möglichkeiten einer Vertragsverlängerung. Die vereinbarte Miete betrug 2.707,25 EUR.

Im März 2017 erklärte der Erblasser gegenüber der Klägerin schriftlich, das Mietverhältnis aufgrund seiner schweren Erkrankung, die ihm die Nutzung der Mieträume unmöglich mache, zum nächstmöglichen Zeitpunkt beenden zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits erhebliche Mietrückstände aufgelaufen.

Mit Urteil vom 29.08.2019 hat das Landgericht Stralsund die unbekannten Erben als Beklagte verurteilt, an die Klägerin 16.243,50 EUR nebst Zinsen i.H.v. 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.04.2017 sowie weitere 6.457,64 EUR nebst Zinsen i.H.v. 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.04.2017 und weitere 1.000,00 EUR nebst Zinsen i.H.v. 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.11.2017 zu zahlen. Wegen der Mieten für die Monate Mai bis Dezember 2017 hat es die Klage abgewiesen. Es hat in der Erklärung des Erblassers eine fristlose Kündigung gesehen, die im April wirksam geworden sei. Zu dieser sei der Erblasser aufgrund seiner schweren Erkrankung auch berechtigt gewesen. Wegen der weitergehenden erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen sowie der Entscheidungsgründe nimmt der Senat auf das angefochtene Urteil Bezug.

Mit ihrer Berufung beantragt die Klägerin, die Beklagten zur weiteren Zahlung von 21.658,00 EUR nebst Zinsen i.H.v. 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 2.707,25 EUR seit dem 06.05., 06.06., 06.07., 06.08., 06.09., 06.10., 06.11. und 06.12.2017 zu verurteilen.

Sie rügt, das Landgericht habe § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB fehlerhaft angewendet. Zu Unrecht habe das Landgericht in der Erkrankung des Erblassers einen wichtigen Kündigungsgrund gesehen.

Der Erblasser als Mieter habe das Verwendungsrisiko hinsichtlich der Mietsache selbst getragen. Dies könne nicht auf die Klägerin als Vermieterin übergewälzt werden.

Es sei nicht zutreffend, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung eine schwere Erkrankung einen wichtigen Kündigungsgrund gemäß § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB darstellen könne. Die vom Landgericht in Bezug genommenen Urteile beträfen gänzlich andere Sachverhalte.

In der Entscheidung BGH NJW-RR 2017,134 sei es um Härtegründe auf Mieterseite gegangen. Dort habe die Krankheit der Mieterseite gerade die Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses begründen sollen und nicht die Kündigung. Im Rahmen der Güterabwägung - der Mieter soll den Vermieter mehrfach schwer beleidigt haben - sei die Erkrankung des Mieters mitberücksichtigt worden. Dabei habe es sich um einen Wohnraummietvertrag gehandelt.

Die Entscheidung BGH NJW-RR 2010,198 sei zu einem Pachtvertrag und nicht zu einem Mietvertrag ergangen. Im Pachtrecht gäbe es die besondere Kündigungsvorschrift des § 594c BGB, die die Kündigung bei Berufsunfähigkeit des Pächters betreffe.

Die zitierte Entscheidung des OLG Düsseldorf (NZM 2008, 807) habe gerade ausgesprochen, dass eine Erkrankung des Mieters eines befristeten Mietvertrages eine fristlos...

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