Leitsatz (amtlich)
1. Ein Prozessvergleich kann aufgrund eines Einigungsmangels nach §§ 154, 155 BGB unwirksam sein. Ein solcher unwirksamer Vergleich führt grundsätzlich nicht zur Beendigung des Rechtsstreits, vielmehr ist der Streit über die Wirksamkeit regelmäßig in Fortführung des Ausgangsverfahrens auszutragen, weshalb einer neuen Klage der Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit entgegen steht.
2. Etwas anderes kann für den Fall gelten, wenn die Beendigung des Ursprungsverfahrens durch den Vergleich nicht in Frage gestellt wird, was etwa gegeben sein wird, wenn der Streit der Vergleichsparteien solche Punkte betrifft, die zwar in dem Vergleich geregelt worden waren, die aber außerhalb des Streitgegenstandes des Ursprungsverfahrens gelegen hatten.
3. Insbesondere kann die Unwirksamkeit eines im einstweiligen Verfügungsverfahrens abgeschlossenen Vergleichs, dessen Inhalt über den Gegenstand dieses Verfahrens hinaus geht, nur im ordentlichen Verfahren nach entsprechender Klageerhebung geltend gemacht werden, da der Streitgegenstand gegenüber dem jeweiligen Hauptsacheverfahren ein anderer ist.
Normenkette
BGB §§ 154-155, 779; ZPO § 794
Verfahrensgang
LG Rostock (Urteil vom 19.11.2009; Aktenzeichen 4 O 286/08) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das am 19.11.2009 verkündete Urteil des LG Rostock, Az.: 4 O 286/08, aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das LG Rostock zurückverwiesen.
II. Das Urteil ist vorläufig ohne Sicherheitsleistung vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, eine Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn diese nicht zuvor Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Streitwert des Berufungsverfahrens: bis 155.000 EUR.
Gründe
I. Die Parteien, eine Steuerberatergesellschaft und ihre ehemalige Geschäftsführerin, streiten um Zahlungen nach dem Ausscheiden der Beklagten aus der Rechtsvorgängerin der Klägerin (im Folgenden: Klägerin). Dabei war es zur Übernahme von Mitarbeitern wie auch von Mandanten der Klägerin durch die Beklagte gekommen.
Die Klägerin hatte vor dem LG Rostock - 3 O 134/05 - ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Beklagte angestrengt und beantragt, dieser aufzugeben, die Beschäftigung bestimmter Mitarbeiter der Klägerin bzw. deren "Abwerben" zu unterlassen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung in jenem Verfahren schlossen die Parteien sodann auf Vorschlag des Gerichts am 12.4.2005 einen Vergleich, in dessen Ziff. 1 sie sich wechselseitig verpflichteten, Arbeitnehmer und Mandanten der jeweils anderen Partei nicht hinsichtlich eines Wechsels anzusprechen oder einen solchen auf andere Weise zu veranlassen. Außerdem verpflichtete sich die Beklagte in Ziff. 3 des Vergleichs, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt keine Mitarbeiter der Klägerin zu beschäftigen. Darüber hinaus vereinbarten die Parteien unter Ziff. 2 des Vergleichs eine Regelung über die Zahlung von Schadensersatz, den die Beklagte für Mandate leisten sollte, die von der Klägerin zur Beklagten wechselten. In dieser Regelung, die sich auch zur Frage der Feststellung der betreffenden Mandate sowie zu den Zahlungsmodalitäten verhält, heißt es u.a.:
"Für Mandate der Verfügungsklägerin, die bis zum 31.3.2007 in das Mandat der Verfügungsbeklagten wechseln, zahlt die Verfügungsbeklagte Schadensersatz i.H.v. 93 % des für das Jahr 2004 abgerechneten Jahresumsatzes der Verfügungsklägerin mit dem jeweiligen Mandanten".
Wegen des genauen Wortlauts des Vergleichs wird auf Anlage K 1 Bezug genommen.
In der Folgezeit stritten die Parteien über die Berechnung und die Höhe dieser Zahlungen. Dabei vertrat die Klägerin die Auffassung, als Berechnungsgrundlage sei der von ihr, der Klägerin, im Jahr 2004 mit dem jeweiligen Mandat erzielte Jahresumsatz vereinbart gewesen, während die Beklagte der Ansicht war, es komme lediglich auf den bis zu einem bestimmten Stichtag erzielten Umsatz für das Jahr 2004 an, also nicht etwa auf Leistungen für frühere Kalenderjahre, die erst im Jahre 2004 erbracht und abgerechnet worden seien.
Da eine außergerichtliche Einigung nicht zustande kam, erhob die Klägerin in vorliegendem Verfahren Zahlungsklage, die sie später erweiterte und auf den Vergleich stützte. Zuletzt hat sie vor dem LG beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 67.268,71 EUR nebst diverser Zinsen zu zahlen.
Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt.
Das LG hat zu der Frage, welche Bemessungsgrundlage in dem Vergleich vereinbart worden sei, Beweis erhoben durch Vernehmung der damals tätigen Richter des LG sowie der damaligen Prozessbevollmächtigten der Parteien.
Mit dem angefochtenen Urteil, auf das wegen der näheren Einzelheiten Bezug genommen wird (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), hat das LG die Klage wegen anderweitiger Rechtshängigkeit als unzulässig abgewiesen. Zur Begründun...