Leitsatz (amtlich)
1. Art und Umfang der Aufsichtspflicht richten sich nach den Umständen des Einzelfalls und zwar insbesondere unter Berücksichtigung von Alter, Eigenart und Charakter des Aufsichtsbedürftigen, örtlichem Umfeld, Ausmaß der drohenden Gefahren, Voraussehbarkeit schädigenden Verhaltens sowie Zumutbarkeit der Aufsichtsmaßnahme (vgl. BGH, Urteil vom 10.07.1984, VI ZR 273/82, Rn. 12). Entscheidend ist, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen unternehmen müssen, um die Schädigung zu verhindern.
2. Eine analoge Anwendung der Haftungsbeschränkung nach § 1664 Abs. 1 BGB auf die eigenübliche Sorgfalt kommt bei anderen Personen als den Eltern nicht in Betracht.
3. Zur Verkehrssicherungspflicht bei einem Teich, wenn dort mit spielenden Kindern zu rechnen ist. Hier: Teich mit einer Steganlage, die derart weit in Richtung der Gewässermitte ragte, dass bei einem Hineinfallen eine Gewässertiefe von mehr als 1,20 m erreicht wurde, welche es jüngeren Kindern nicht mehr ermöglichte, sich stehend über Wasser zu halten.
4. Zu den zumutbaren Sicherungsmaßnahmen bei einem naturnahen Grundstück mit Teich. Hier z.B. das Anbringen einer Sicherungsleine unterhalb des 0,6 m über die Gewässeroberfläche hinausragenden Stegs, um Kindern ein Festhalten hieran zu ermöglichen, sowie das Anbringen eines Rettungsrings auf dem Steg oder in unmittelbarer Nähe.
5. Neben dem Veranstalter kann auch der Grundstückeigentümer, der das Grundstück für die Veranstaltung überlassen hat, verkehrssicherungspflichtig sein.
Normenkette
BGB §§ 242, 254, 823 Abs. 1, §§ 832, 1664 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Rostock (Urteil vom 04.07.2018; Aktenzeichen 10 O 10/15) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten und der Streithelferin wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 04.07.2018, Az. 10 O 10/15 (1), wie folgt abgeändert:
I. 1. Der Kläger hat dem Grunde nach gegen die Beklagten zu 1) bis 3) einen Anspruch auf
a) Ersatz seiner materiellen Schäden infolge des Unfalls vom 02.06.2012 in Höhe von 50 % als Gesamtschuldner sowie gegen den Beklagten zu 2) allein in Höhe weiterer 50 % und
b) Zahlung eines Schmerzensgeldes, im Verhältnis zu den Beklagten zu 1) und 3) jedoch nur unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 50 %, wobei die Beklagten als Gesamtschuldner haften, soweit sich die dem Kläger zuzuerkennenden Schmerzensgeldbeträge der Höhe nach decken.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten dem Kläger zum Ersatz aller zukünftigen, aus dem Unfall vom 02.06.2012 herrührenden
a) materiellen Schäden zu 50 % als Gesamtschuldner und zu weiteren 50 % der Beklagte zu 2) allein sowie
b) immateriellen Schäden, im Verhältnis zu den Beklagten zu 1) und 3) unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 50 %, wobei die Beklagten insoweit als Gesamtschuldner haften, als sich die zuerkannten Schmerzensgeldbeträge decken,
verpflichtet sind.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
II. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten und der Streithelferin zurückgewiesen.
III. Der Hilfsantrag des Beklagten zu 2) wird als unzulässig verworfen.
IV. Die Beklagten haben die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Nebenintervention zu tragen. Letztere trägt die Streithelferin.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
VI. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis zu 1.000.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagten wegen eines sog. Ertrinkungsunfalls als Gesamtschuldner auf Schmerzensgeld, Schadensersatz und Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz künftiger Schäden in Anspruch.
Der am 07.09.2006 geborene Kläger befand sich am 01. und 02.06.2012 auf einer von dem Beklagten zu 3) - einem anerkannten Träger der freien Jugendhilfe - abgehaltenen Veranstaltung, der "5. C." in H.. Für diese Veranstaltung hatte der Beklagte zu 1) dem Beklagten zu 3) die auf dem Veranstaltungsgelände befindliche sogenannte "V. M." nebst zugehörigem Grundstück entgeltlich überlassen. Die als Gruppengästehaus ausgebaute Villa diente der Beherbergung und Versorgung der Teilnehmer. Von den 22 Teilnehmern waren 10 unter 10 Jahre alt, die übrigen älter.
In einer Entfernung von wenigen Metern zur Villa befindet sich ein Teich mit einer Länge und Breite von jeweils mindestens 20 m. Die der Villa zugewandte Seite des Teichs liegt auf dem Grundstück des Beklagten zu 1). Die Zuwegung zum Teich befindet sich auf der Rückseite der Villa in ca. 5 m Entfernung. Der Teich ist von der Villa aus nicht einsehbar, weil seine Ufer mit hohen Büschen bewachsen sind. Am Ende der Zuwegung befindet sich ein Steg, der ca. 7 m in den Teich hineinragt. Der Steg ist frei zugänglich, ca. ...