Entscheidungsstichwort (Thema)

Arzthaftung: Schmerzensgeld für Diagnose- und Befunderhebungsfehler

 

Leitsatz (amtlich)

1. Psychische Beeinträchtigungen wie Schlaflosigkeit, Kraftminderung und Konzentrationsschwäche sind keine typischen Folgen einer auf der Intensivstation behandelten Urosepsis oder einer chronischen Funktionsbeeinträchtigung einer Niere.

2. Die dreitägige Behandlung einer 61 jährigen Patientin auf der Intensivstation aufgrund eines fundamentalen Diagnosefehlers rechtfertigt ein Schmerzensgeld i.H.v. 7.000 EUR.

 

Normenkette

BGB §§ 31, 253, 278, 280, 823

 

Verfahrensgang

LG Stralsund (Urteil vom 05.09.2011; Aktenzeichen 6 O 292/07)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird - unter Zurückweisung ihres weiter gehenden Rechtsmittels - das Urteil des LG Stralsund vom 5.9.2011, Az: 6 O 292/07, abgeändert und wie folgt gefasst:

1. Die Beklagten zu 1), 2) und 3) werden verurteilt, an die Klägerin als Gesamtschuldner ein Schmerzensgeld i.H.v. 7.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.9.2007 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1), 2) und 3) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche zukünftigen immateriellen und materiellen Schäden, die auf den Diagnosefehlern anlässlich der Behandlung der Klägerin im Krankenhaus der Beklagten zu 1) im Zeitraum vom 27.9.2005 bis 15.10.2005 beruhen, zu ersetzen, soweit die Ansprüche der Klägerin nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen.

3. Die weiter gehende Klage wird abgewiesen.

II. Von der Kosten der ersten Instanz tragen die Klägerin 70 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 30 %.

Von den Kosten der Berufung tragen die Klägerin 85 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 15 %.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Wert der Berufungsinstanz beträgt bis 34.000 EUR.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner wegen ärztlicher Behandlungsfehler auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch.

Am 27.9.2005 wurde die Klägerin mit Schmerzen im Bauchraum in das Krankenhaus der Beklagten zu 1) eingeliefert. Bei einer noch am gleichen Tag durchgeführten Sonografie übersah die Beklagte zu 3) einen Nierenstein links. Am 28.9.2005 diagnostizierte der Beklagte zu 2), Chefarzt bei der Beklagten zu 1), einen Ulkus im Darm und kündigte für den 30.9.2005 eine Darmspiegelung an, die vorbereitet wurde. Da die Klägerin Durchfall bekam, sich erbrach und unter erheblichem Schwindelgefühl und Fieber litt, wurde die Darmspiegelung abgesetzt und stattdessen die Lunge untersucht. Am 2.10.2005 erlitt die Klägerin einen schweren Sepsisanfall und kam auf die Intensivstation. Nach erneuter Durchführung einer Sonografie durch den Radiologen wurden eine vereiterte linke Niere und ein Nierenstein, der einen Harnstau dritten Grades verursacht hatte, befundet. Die Klägerin wurde notoperiert; der vereiterte Urin wurde entfernt. Bereits am Folgetag hatte sich ihr Zustand erheblich verbessert. Die Klägerin verblieb bis zum 15.10.2005 weiter im Krankenhaus der Beklagten zu 1). Der Nierenstein wurde anschließend im Universitätsklinikum entfernt.

Die Klägerin behauptet, die Anfangsdiagnose der Beklagten, sie leide unter einer antibiotika-indizierten Darmentzündung, sei vorwerfbar fehlerhaft gewesen. Bei der Sonografie am 27.9.2005 hätte der linke Nierenstein entdeckt werden müssen. Die Beklagten hätten nicht hinreichend und zügig genug Kontrollbefunde erhoben. Folge dieser Behandlungsfehler seien die Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes nach dem 28.9.2005, das Erfordernis einer Notoperation, zwei schwere Sepsisschocks, die sie am 30.9. und am 2.10.2005 erlitten habe und der anschließende Krankenhausaufenthalt bis zum 15.10.2005. Bei korrekter Diagnose und zielführenden Behandlungsmaßnahmen hätte es mit einem ambulanten Eingriff sein Bewenden gehabt. Auch wäre die fortwährende Einnahme von Medikamenten nicht erforderlich und ihre Niere würde nicht mehr nur zu 50 %, sondern zu 100 % arbeiten. Sie leide noch heute unter einer Schrumpfung der linken Niere, wodurch auch eine Funktionsminderung verursacht werde. Folge der Sepsis seien zudem eine Störung ihres Immunsystems sowie eine Erkrankung der Schilddrüse. Die erforderlichen Folgeuntersuchungen mittels radioaktiver Strahlen bzw. Kontrastmitteln würden ihr Stress und Ängste verursachen. Sie leide auch heute noch unter Schlaflosigkeit, Leistungsbeeinträchtigung und Konzentrationsproblemen. Als Sepsispatientin sei sie gefährdet, gerade wegen des Nierenschadens zur Dialysepatientin zu werden. Die genannten Gesundheitsbeeinträchtigungen seien auch Folge einer fehlerhaften Medikamentengabe durch die Beklagten, die von vornherein nicht ...

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