Verfahrensgang

LG Stralsund (Urteil vom 09.01.2002; Aktenzeichen 6 O 578/99)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Stralsund vom 9.1.2002, Az.: 6 O 578/99, aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das erstinstanzliche Gericht zurückverwiesen.

II. Gerichtskosten für das Rechtsmittelverfahren werden nicht erhoben.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt die Beklagte wegen eines Brandes in seinem Wohnhaus auf Versicherungsleistung in Anspruch.

Die Beklagte hat die Zahlung der Versicherungsleistung verweigert, weil der Kläger Obliegenheiten verletzt habe. Diesbezüglich streiten die Parteien darüber, ob das Wohnhaus zum Zeitpunkt des Brandes unbewohnt war. Die Beklagte hat behauptet, der Versicherungsvertreter habe sich geweigert, in die Verhandlungsniederschrift aufzunehmen, dass das Haus bewohnt gewesen sei. Die von ihm im Prozess eingereichte und dies betreffend veränderte Verhandlungsniederschrift habe er nur zur eigenen Verwendung geändert.

Das LG hat Beweis erhoben über diese Fragen.

In der mündlichen Verhandlung vom 9.1.2002 hat es zunächst Zeugenbeweis erhoben und nach Abschluss der Beweisaufnahme und Erörterung des Beweisergebnisses bestimmt, dass eine Entscheidung am Ende der Sitzung ergehe.

Bei Wiederaufruf der Sache, zu der niemand erschienen war, hat das LG ein Urteil verkündet, wonach es die Klage abgewiesen hat. Das dies betreffende Verhandlungsprotokoll ist vom Vorsitzenden unterschrieben worden (vgl. Sitzungsprotokoll v. 9.1.2002, Bl. 10-11 = GA 178-179). Ausweislich des Vermerks GA 181 RS d.A. vom 14.6.2002 ergibt sich, dass ein Urteil zur Unterschrift vorgelegt werden sollte.

In der Akte befindet sich weder ein schriftlich niedergelegter und unterzeichneter Urteilstenor, der in der mündlichen Verhandlung vom 9.1.2002 verkündet worden sein könnte, noch ein unterschriebenes Urteil mit Tatbestand und Entscheidungsgründen.

Der Beklagte hat am 8.7.2002 gegen das am 9.1.2002 verkündete und bisher nicht zugestellte Urteil Berufung eingelegt.

Zur Begründung hat er zunächst ausgeführt, die Entscheidung beruhe auf einer Rechtsverletzung. Es liege ein Verstoß gegen §§ 313, 317 ZPO vor, weil das Urteil weder zugestellt worden sei noch ein Urteil mit Tatbestand und Entscheidungsgründen überhaupt vorliege. Zugleich sei damit auch von einem Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs und das Gebot des fairen Verfahrens auszugehen. Dem Berufungskläger sei es nicht möglich, seine begründeten Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils vorzutragen. Die Nichtzustellung eines Urteils mit Tatbestand und Entscheidungsgründen, mithin dessen gänzliches Fehlen, stelle nicht nur eine Rechtsverletzung dar, sondern einen wesentlichen Mangel, an dem das Verfahren des ersten Rechtszuges leide. Es sei auch nicht möglich, aufgrund der bisherigen Beweisaufnahme im Berufungsrechtszug ein neues Urteil zu sprechen, sondern die Beweisaufnahme müsse wiederholt werden. Damit liege ein Fall des § 538 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO vor, was eine Zurückverweisung der Sache an das Gericht des ersten Rechtszuges nahe lege.

Der Kläger beantragt, die Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG Stralsund sowie hilfsweise, unter Abänderung des bisher nicht zugestellten Urteils des LG Stralsund vom 9.1.2002 (Az.: 6 O 578/99) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 25.135,71 EUR zzgl. 4 % Zinsen seit dem 15.11.1998 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, der Rechtsstreit sei nicht an das LG zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht könne die durchgeführte Beweisaufnahme verwerten und über den Rechtsstreit entscheiden.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Parteischriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Akteninhalt im Übrigen ausdrücklich Bezug genommen.

II. Die gegen das genannte "Urteil" form- und fristgerecht eingereichte und rechtzeitig begründete Berufung ist zulässig.

1. Das Urteil ist nicht nur - wie der Kläger zutreffend hervorhebt - verfahrensfehlerhaft ergangen. Es liegt sogar vielmehr überhaupt noch kein formal ordnungsgemäßes Urteil vor. Denn das ausweislich des Verhandlungsprotokolls vom 9.1.2002 verkündete Urteil stellt ein sog. Scheinurteil dar.

a) Soll ein Urteil aufgrund streitiger mündlicher Verhandlung - so wie offenkundig im vorliegenden Fall - in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird, verkündet werden (§ 310 Abs. 1 S. 1 1. Alt. ZPO), so hat diese Verkündung - wie auch geschehen - am Schluss der mündlichen Verhandlung zu erfolgen (§ 136 Abs. 4 ZPO; vgl. auch Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 310 Rz. 2).

Da die Verkündung durch Verlesung der Urteilsformel zu erfolgen hat (§ 311 Abs. 2 ZPO), muss zumindest diese Formel bei der Verkündung schriftlich vorliegen (BGH v. 23.10.1998 - LwZR 3/98, MDR 1999, 181 = NJW 1999, 794; Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl., § 310 Rz. 2). Die Verkündung setzt - auch bei Verstoß gegen §§ 310 Abs. 1 und Abs. 2, 315 Abs. 1 ZPO (Unterschrift der an d...

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