Leitsatz (amtlich)
1. Eine materielle Unwirksamkeit einer Beitragsanpassung in der privaten Krankenversicherung ergibt sich nicht daraus, dass eine Prämienerhöhung im Falle einer Verringerung der erforderlichen gegenüber den kalkulierten Versicherungsleistungen über dem maßgeblichen Schwellenwert ausschiede (Aufgabe von OLG Rostock, Beschluss vom 8. Dezember 2021 - 4 U 90/21).
2. Eine Beitragsanpassungsklausel in der privaten Krankenversicherung, nach welcher die Tarifbeiträge bei einer Abweichung der erforderlichen Versicherungsleistungen von den kalkulierten um mehr als fünf Prozent angepasst werden "können", ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam (Abgrenzung zu BGH, Urteil vom 22. Juni 2022 - IV ZR 253/20).
3. Für den Streitwert einer auf die Feststellung der (formellen) Unwirksamkeit von Prämienänderungen in der privaten Krankenversicherung gerichteten Klage kann nicht in Abweichung von § 9 ZPO wegen insofern geltender Besonderheiten (nur) auf deren einjährigen Betrag abgestellt werden.
Normenkette
BGB § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1; ZPO § 9
Verfahrensgang
LG Neubrandenburg (Urteil vom 24.11.2021; Aktenzeichen 3 O 491/20) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 24.11.2021 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Das Versäumnisurteil vom 10.12.2020 wird aufrechterhalten, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, an den Kläger 4.240,08 EUR zuzüglich Jahreszinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.11.2020 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte; die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 85 Prozent und die Beklagte zu 15 Prozent.
IV. Dieses Urteil und - im Umfang seiner Aufrechterhaltung - das angefochtene Urteil des Landgerichts Neubrandenburg sind vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des jeweiligen Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei zuvor Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision wird beschränkt auf die Rückerstattungsansprüche des Klägers aufgrund der Beitragsanpassungen zum 01.01.2013, zum 01.01.2015, zum 01.01.2017 und zum 01.01.2018 zugelassen.
Beschluss
I. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
II. Der Streitwertbeschluss des Landgerichts Neubrandenburg vom 24.11.2021 wird von Amts wegen abgeändert und dahingehend neu gefasst, dass der Streitwert für den ersten Rechtszug auf bis zu 30.000,00 EUR festgesetzt wird.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Prämienanpassungen im Rahmen einer privaten Krankenversicherung und sich daraus ergebende Ansprüche auf Rückerstattung und Herausgabe von Nutzungen.
Bei der Beklagten handelt es sich um ein Versicherungsunternehmen, bei welchem der Kläger seit dem 01.02.1994 eine private Kranken- und Pflegeversicherung einschließlich einer Krankentagegeldversicherung unterhält mit einem monatlichen Gesamtbeitrag in Höhe von zuletzt 659,73 EUR.
In den Versicherungsvertrag einbezogen sind die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (im Folgenden: AVB KK) der Beklagten, welche unter anderem die folgenden hier relevanten Regelungen enthalten:
"(...)
§ 8 Beitragszahlung
Teil I
(1) Der Beitrag ist ein Jahresbeitrag und wird vom Versicherungsbeginn an berechnet. Er ist zu Beginn eines jeden Versicherungsjahres zu entrichten, kann aber auch in gleichen monatlichen Beitragsraten gezahlt werden, die jeweils bis zur Fälligkeit der Beitragsrate als gestundet gelten. Die Beitragsraten sind am Ersten eines jeden Monats fällig.
(...)
§ 8a Beitragsberechnung
Teil I
(1) Die Berechnung der Beiträge erfolgt nach Maßgabe der Vorschriften des VAG und ist in den technischen Berechnungsgrundlagen des Versicherers festgelegt.
(...)
§ 8b Beitragsanpassung
Teil I
(1) Im Rahmen der vertraglichen Leistungszusage können sich die Leistungen des Versicherers z. B. wegen steigender Heilbehandlungskosten, einer häufigeren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen oder aufgrund steigender Lebenserwartung ändern. Dementsprechend vergleicht der Versicherer zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergibt diese Gegenüberstellung zu den Versicherungsleistungen für eine Beobachtungseinheit eines Tarifes eine Abweichung von mehr als zehn Prozent, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. Bei einer Abweichung von mehr als fünf Prozent können alle Beiträge...