Entscheidungsstichwort (Thema)

Obliegenheitsverletzung eines Mitversicherten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Mitversicherung ist Fremdversicherung i.S.d. §§ 74 bis 80 VVG a.F. Den Mitversicherten treffen gem. § 7 Abs. 1 S. 1 AHB 97 die gleichen Obliegenheiten, wie den Versicherungsnehmer.

2. Bei der Mitteilung eines Minderjährigen an die Haftpflichtversicherung, er sei nicht an dem von dem Geschädigten behaupteten Unfall beteiligt gewesen, handelte es sich um ein Geschäft, das zu seiner Wirksamkeit gem. § 107 BGB der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters bedarf.

3. Eine Minderjährige, die nur aus Angst vor Bestrafung die Beteiligung an einem Unfall wissentlich bestreitet, handelt nicht arglistig i.S.d. §§ 22 VVG a.F., 123 BGB.

 

Normenkette

VVG §§ 74, § 74 ff., § 22 VVG; AHB 1997 § 7 Abs. 1 S. 1; BGB §§ 107, 123

 

Verfahrensgang

LG Stralsund (Urteil vom 31.05.2010; Aktenzeichen 6 O 88/10)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 31.5.2010 verkündete Urteil des LG Stralsund - 6 O 88/10 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gegenstandswert des Berufungsverfahrens: 20.000 EUR

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger macht Ansprüche zugunsten seiner mitversicherten Tochter (nachf. "Mitversicherte" gen.) aus einem Privathaftpflichtversicherungsvertrag geltend und zwar verlangt er Deckungschutz für Schadensersatzansprüche einer Frau ... wegen eines Verkehrsunfalls vom 26.4.2007, an dem die Mitversicherte beteiligt war. Zu den Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat Bezug auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, mit dem das LG der Klage stattgegeben hat. Zur Begründung hat der Einzelrichter ausgeführt, der Kläger habe keine Obliegenheit verletzt und auf die Obliegenheitsverletzung der Mitversicherten könne sich die Beklagte nicht berufen.

Hiergegen richtet sich die zulässige Berufung der Beklagten, mit der sie ihren erstinstanzlich geltend gemachten Klageabweisungsantrag weiter verfolgt. Zur Begründung trägt sie vor:

Der Mitversicherten sei eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung zur Last zu legen, die zur Leistungsfreiheit der Beklagen führe. Zwar sei es richtig, dass eine Leistungsfreiheit auch im Falle einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung nicht schlechthin bestehe. Die Voraussetzungen der Leistungsfreiheit des Versicherers bei vorsätzlichen Obliegenheitsverletzungen aus Schadensfällen nach altem Recht richteten sich allein nach den Grundsätzen der Relevanzrechtsprechung des BGH. Diese Voraussetzungen habe das Gericht nicht geprüft. In der privaten Haftpflichtversicherung sei die objektive Aufklärungspflichtverletzung gem. § 5 Ziff. 3 AHB dazu geeignet, die Interessen des Versicherers nachhaltig zu gefährden. Durch das Fehlverhalten des Versicherungsnehmers oder des Mitversicherten werde dem Versicherer u.a. eine kosten- und zinssparende kurzfristige Regelung der begründeten Ansprüche des Anspruchstellers genommen. Demgemäß sei auch die Falschangabe der Mitversicherten über ihre Beteiligung an dem Fahrradunfall mit der Geschädigten generell dazu geeignet, die Interessen der Beklagten zu gefährden.

Der Mitversicherten sei auch ein subjektives Fehlverhalten von einigem Gewicht zur Last zu legen. Von einem geringen und die Leistungsfreiheit des Versicherers nicht begründenden Verschulden könne nur gesprochen werden, wenn es sich um ein Fehlverhalten handele, das auch einem ordentlichen Versicherungsnehmer leicht unterlaufen könne und für das deshalb auch ein einsichtiger Versicherer Verständnis aufzubringen vermöge. Bewusste und gezielte Falschangaben begründeten stets ein erhebliches Verschulden. Die Angaben der Mitversicherten ggü. der Beklagten über ihre angeblich fehlende Beteiligung an dem in Rede stehenden Schadensfall beinhalteten eine schlichte Lüge.

Die Tatsache, dass die Mitversicherte über die Folgen eine vorsätzlichen und folgenlosen Obliegenheitsverletzung nicht belehrt worden sei, stehe der Leistungsfreiheit der Beklagten nicht entgegen. Es bedürfe keiner Belehrung, wenn der Versicherungsnehmer bzw. die mitversicherte Person hinsichtlich ihres Fehlverhaltens arglistig gehandelt habe. Dies sei der Fall, denn der Mitversicherten sei hinsichtlich ihrer falschen Angabe ggü. der Beklagten vorzuwerfen, dass sie hiermit das Ziel verfolgt habe, diese zum Zwecke der Erregung eines Irrtums bewusst und gezielt zu täuschen.

Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil des LG Stralsund abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Vertiefung und Wiederholung seines erstinstanzlichen Vortrages und trägt ergänzend vor: Dem Versicherer werde nach der Rechtsprechung über die Belehrungspflicht des Versicherers ein Leistungsverweigerungsrecht versagt, wenn eine vorsätzliche Verletzung der Obliegenheit durch den Versicherungsnehmer tatsächlich ohne jede Relevanz für den Versicherer gewesen sei. Da...

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