Entscheidungsstichwort (Thema)
Bejahung der Auskunftsstufe in der Berufungsinstanz bei vollständiger Klagabweisung in erster Instanz; Anforderungen an einen Pflichtteilsverzicht
Leitsatz (amtlich)
1. Wird vom erstinstanzlichen Gericht bei einer Stufenklage der Auskunftsanspruch unzutreffend verneint und die Klage deshalb insgesamt abgewiesen, gibt das Berufungsgericht aber dem Auskunftsanspruch statt, dann darf das Berufungsgericht in entsprechender Anwendung von § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO auf Antrag einer Partei das Verfahren zur Entscheidung in der Leistungsstufe an das erstinstanzliche Gericht zurückverweisen.
2. Der Verzicht auf den bereits entstandenen Pflichtteilsanspruch ist ein erst nach dem Erbfall zwischen dem Erben und dem Pflichtteilsberechtigten geschlossener Erlassvertrag nach § 397 BGB. Er bewirkt, dass der mit dem Erbfall entstandene Anspruch auf den Pflichtteil erlischt.
3. Der Erlass setzt den unmissverständlichen rechtsgeschäftlichen Willen voraus, auf eine Forderung - hier den Pflichtteilsanspruch - zu verzichten. An die Feststellung eines solchen Willens sind dabei strenge Anforderungen zu stellen.
4. Selbst bei scheinbar eindeutigen Erklärungen darf ein Erlass erst angenommen werden, wenn sämtliche relevanten Begleitumstände berücksichtigt worden sind.
Verfahrensgang
LG Schwerin (Aktenzeichen 3 O 261/17) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 23.11.2018 - 3 O 261/17 - wie folgt abgeändert:
Der Beklagte wird im Wege der Stufenklage verurteilt
a) Auskunft über den Bestand des Nachlasses der am 24.08.2012 in Schwerin verstorbenen Erblasserin, S. G., zum Stichtag des Erbfalls, dem 24.08.2012, zu erteilen und zwar durch Vorlage eines Bestandsverzeichnisses, welches folgende Punkte umfasst:
(aa) sämtliche beim Erbfall vorhandenen Sachen (Mobilien, Immobilien) und Forderungen (Aktiva),
(bb) sämtliche beim Erbfall vorhandenen Nachlassverbindlichkeiten (Passiva),
(cc) alle pflichtteilsergänzungsrelevanten Zuwendungen, die die Erblasserin zu Lebzeiten getätigt hat- ohne zeitliche Begrenzung auch über einen 10 Jahrenzeitraum hinweg,
(dd) alle Güterstände, in denen die Erblasserin während ihrer Ehezeit gelebt hat,
(ee) sämtliche Lebensversicherungsverträge und sonstige Verträge zu Gunsten Dritter, die die Erblasserin zu Lebzeiten abgeschlossen hat und die bei ihrem Tod noch bestanden,
(ff) Zuwendungen, die keine Schenkungen sind, beispielsweise die Übertragung eines Grundstückes gegen Vorbehalt oder Einräumung eines Nießbrauchs, Altenteils oder Wohnrechts.
b) Der Beklagte wird verurteilt, Werte zu allen im Bestandverzeichnis angegebenen Positionen anzugeben, und
(aa) sofern Immobilien vorhanden sind, ein Sachverständigengutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen über den Wert der Immobilien vorzulegen,
(bb) sofern Unternehmensanteile vorhanden sind, diese durch die Vorlage von Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen sowie zugrundeliegender Geschäftsbücher und Gesellschafterverträge für die fünf zurückliegenden Jahre vor dem Todestag der Erblasserin zu belegen,
2. Soweit das Landgericht die Klage auch im Übrigen abgewiesen hat, wird das Urteil aufgehoben. Die Sache wird auf Antrag der Parteien zur weiteren Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Landgericht zurückverwiesen
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 6.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I. Von der Darstellung eines Tatbestandes sieht der Senat gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO ab.
II. Die zulässige Berufung des Klägers hat Erfolg. Dem Kläger steht ein Anspruch auf die von ihm begehrte Auskunft gemäß § 2314 BGB zu.
1) Der Kläger ist der leibliche Sohn der Erblasserin. Da der Kläger aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments der Erblasserin und des Beklagten von der Erbfolge ausgeschlossen worden ist, steht ihm gemäß § 2303 BGB ein Pflichtteil am Nachlass zu. Weil dessen Höhe vom Wert des Nachlasses abhängig ist, hat er als Pflichtteilsberechtigten (der nicht Erbe ist) grundsätzlich einen Anspruch auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses gegenüber dem Erben (§ 2314 Abs. 1 S. 1 BGB).
Entgegen der Auffassung des Landgerichts besteht dieser Anspruch auch weiterhin, da der Kläger nicht auf seinen Pflichtteilanspruch "verzichtet" hat.
Der Verzicht auf den - wie hier - bereits entstandenen Pflichtteilsanspruch ist ein erst nach dem Erbfall zwischen dem Erben und dem Pflichtteilsberechtigten geschlossener Erlassvertrag nach § 397 BGB. Er bewirkt, dass der mit dem Erbfall entstandene Anspruch auf den Pflichtteil (§ 2317 BGB) erlischt (vgl. Staudinger - Schotten, BGB, (2016) Einl. zu §§ 2346 - 2352, Rn. 35; Palandt - Weidlich, BGB, 79. Aufl., § 2346, Rn. 14 m. w. N.).
Der Erlass setzt den unmissverständlichen rechtgeschäftlichen Willen voraus, auf eine Forderung - hier den Pflichtteilsanspruch - zu verzichten. An die Feststellung eines solchen Willens sind dabei str...