Leitsatz (amtlich)
1. Stellt ein Richter eine von ihm vertretene Mindermeinung als die nach deutschem Recht allein existierende dar, obwohl ihm die überwiegend vertretene Gegenansicht bekannt ist, stellt er die Rechtslage wissentlich falsch als unumstritten und einhellig dar. Hierdurch verletzt er das Gebot der Sachlichkeit und Fairness. Dies begründet aus Sicht einer vernünftigen Partei einen Umstand im Sinn von § 42 Abs. 2 ZPO, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen.
2. Eine Spruchkörper übergreifende Verfahrensverbindung ist nach § 147 ZPO gegen den Willen der Parteien nicht möglich, wenn es hierfür keine Grundlage im Geschäftsverteilungsplan gibt. Setzt sich ein Richter hierüber wissentlich hinweg, so begründet dies einen groben Verfahrensfehler, der eine Besorgnis der Befangenheit im Sinn von § 42 Abs. 2 ZPO begründen kann.
3. Beabsichtigt ein Einzelrichter ein Verfahren dem EuGH vorzulegen, so bringt er hierdurch zum Ausdruck, dass er von einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinn von § 348 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO ausgeht. Dies löst eine Pflicht aus, den Rechtstreit der Kammer zur Entscheidung vorzulegen, ob der Rechtstreit übernommen wird. Verstößt der Einzelrichter hiergegen erkennbar bewusst, so begründet dies einen groben Verfahrensfehler, der eine Besorgnis der Befangenheit im Sinn von § 42 Abs. 2 ZPO begründen kann.
Normenkette
ZPO § 42 Abs. 2, §§ 43, 147, 348 Abs. 3 S. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Beschluss vom 24.01.2020; Aktenzeichen 3 O 57/20) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 24. Januar 2020, AZ: 3 O 57/20,
aufgehoben
und das Ablehnungsgesuch der Beklagten gegen Richter am Landgericht Dr. X. wird für begründet erklärt.
Gründe
I. Im vorliegenden Rechtstreit wird die Beklagte, gestützt auf die Behauptung durch den Verbau unzulässiger Abschalteinrichtungen den Kläger arglistig geschädigt zu haben, auf Schadensersatz in Anspruch genommen.
Mit Beschluss vom 24.01.2020 hat das Landgericht Stuttgart das Ablehnungsgesuch der Beklagten gegen den für das Erkenntnisverfahren zuständigen Richter am Landgericht Dr. X (folgend als der abgelehnte Richter bezeichnet) für unbegründet erklärt.
Die Beklagte lehnte den abgelehnten Richter mit Schriftsatz vom 26.11.2019 im vorliegenden Verfahren, in dem bislang noch nicht mündlich verhandelt worden ist, wegen Besorgnis der Befangenheit ab; gestützt auf folgende Umstände:
Der abgelehnte Richter habe in 21 gegen die Beklagte geführten Erkenntnisverfahren der 3. und 22. Zivilkammer, zu denen nicht das gegenständliche Verfahren zählt, einen gemeinsamen Verhandlungstermin auf den 13.11.2019 bestimmt, wobei er den Termin als eine Verhandlung über eine EuGH-Vorlage angekündigt habe. In diesem Verhandlungstermin habe der abgelehnte Richter in einer knapp zweistündigen Eröffnungsrede vor zahlreichen Pressevertretern eine 74 Seiten umfassende eigene Stellungnahme zu Fragen des deutschen Rechts verlesen, wobei er sich zuerst rechtspolitisch und erst anschließend zur Rechtslage geäußert habe. Sein Manuskript habe der abgelehnte Richter an die Prozessbeteiligten ausgehändigt. In diesem schlage sich der abgelehnte Richter auf die Seite der Kläger, differenziere nicht zwischen der Y. AG und der Beklagten und schließe von der Y. vorgeworfenen Arglist auf eine solche der Beklagten.
Dem abgelehnten Richter komme es primär auf die Y. AG an. So habe dieser geäußert, dass Nutzungsersatz bei der Y. vorgeworfenen Arglist nicht anzurechnen sei.
Der abgelehnte Richter habe sich über das Gebot effektiven Rechtsschutzes hinweggesetzt. Denn eine Vorlage an ein anderes Gericht komme erst in Betracht, wenn die durch das Gericht selbst klärungsfähigen Tatsachen- und Rechtsfragen geklärt seien.
Trotz der im Sammeltermin erhobenen Besetzungsrüge der Beklagten durch ihren Prozessbevollmächtigten Dr. ... und des Hinweises, dass die Verfahren zu verschiedenen Kammern gehören, habe der abgelehnte Richter am Ende des Sammeltermins alle dortigen Verfahren zum Verfahren 3 O 254/18 verbunden und so die betreffenden Verfahren der 22. Zivilkammer wissentlich dem gesetzlichen Richter entzogen.
Grund hierfür sei gewesen, dass die 22. Zivilkammer Ablehnungsgesuche in Z-Verfahren gegen den abgelehnten Richter für begründet erklärt habe. Es dränge sich der Eindruck auf, der abgelehnte Richter versuche nunmehr in Verfahren gegen andere Hersteller - auch in Verfahren gegen die Beklagte - Einfluss auf das Verfahren seiner Ehefrau gegen Y zu nehmen.
Der abgelehnte Richter hat in seiner dienstlichen Erklärung vom 06.12.2019 auf die im Verfahren 3 O 254/18 abgegebene verwiesen. In dieser führt er aus, dass alle zur Begründung des Ablehnungsgesuchs vorgebrachten Umstände der Beklagten bekannt gewesen seien. Auch die von ihm beabsichtigte Verbindung der Verfahren des Sammeltermins habe er dem Beklagtenvertreter Dr. ... in einem in der 45ten Kalenderwoche geführten Telefonat bereits mitgeteilt gehabt...