Leitsatz (amtlich)

1. Der Wert einer Räumungsklage bemisst sich nicht nach dem wirtschaftlichen Schaden, der dem Kläger durch die Aufrechterhaltung des Vertrages entstünde, sondern nach dem Jahresmietwert (Miet-) Wert, nämlich nach dem Wert der Leistung, von der der Kläger freigestellt werden will.

2. Ausgleichszahlungen für die vorzeitige Räumung eines Mietobjekts führen weder zur Erhöhung des Streitwerts noch zu einem Vergleichsmehrwert, soweit sie den Charakter einer Gegenleistung haben. Gegenstandswert eines Vergleichs ist, worüber und nicht worauf sich die Parteien verständigt haben.

3. Das Titulierungsinteresse für eine Zahlungsverpflichtung, die nicht im Streit ist, ist beim Vergleichsmehrwert mit einem Bruchteil des Zahlbetrags zu berücksichtigen.

4. Dass die Parteien einen Streit über einen befristeten Vertrag dadurch lösen, dass sie eine Vereinbarung mit längerer Laufzeit schließen, führt in den Fällen der Kostenprivilegierung nach §§ 41, 42 GKG grundsätzlich nicht zu einem Vergleichsmehrwert.

5. Eine Wertfestsetzung für die Anwaltsgebühren nach § 33 RVG kommt im gerichtlichen Verfahren nicht in Betracht, weil § 32 RVG vorgeht.

 

Normenkette

GKG § 63 Abs. 2, § 41 Abs. 2; GKVerz Nr. 1900; RVG § 33

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Aktenzeichen 18 O 137/10)

 

Tenor

1. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 70.971,60 EUR festgesetzt und der Mehrwert des Vergleichs auf 626.370,79 EUR.

2. Der Antrag des Beklagtenvertreters auf Wertfestsetzung gem. § 33 Abs. 1 RVG wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Durch Urteil vom 21.7.2010 hat das LG Stuttgart die Räumungsklage der Klägerin abgewiesen, mit der sie die Herausgabe der an die Beklagten vermieteten Gewerberäume fordert, um das Gebäude abreißen und auf dem ganzen, in der Stuttgarter Innenstadt gelegenen Areal, ein großflächiges neues Wohn- und Geschäftszentrum errichten zu können, das sog. "Quartier S". Stattdessen hat das LG dem zweiten Hilfsantrag der Klägerin stattgegeben und festgestellt, dass das Mietverhältnis zum 31.12.2014 ende. Mit der Berufung hat die Klägerin ihren Antrag auf sofortige Räumung weiterverfolgt, während die Beklagte mit der Anschlussberufung eine vollständige Klagabweisung erstrebt hat. Sie steht auf dem Standpunkt, der Mietvertrag laufe bei Wahrnehmung einer ihr zustehenden Option noch bis Ende 2019.

Die Parteien handelten außergerichtlich einen umfangreichen Vergleich aus, den sie am 14.2.2011 vor dem Senat protokollierten. Der Vergleich sieht u.a. eine Räumung zum Ende des laufenden Monats unter Verzicht auf Vollstreckungsschutz, eine Einmalzahlung an die Beklagte i.H.v. 993.650 EUR, einen Interims- und einen Nachfolgemietvertrag im zu errichtenden Einkaufscenter, Übernahme der Umzugskosten, Rückzahlung der letzten beiden Mietzahlungen und Erledigung eines in I. Instanz anhängigen anderweitigen Streits vor (LG Stuttgart 18 O 329/10).

Strittig ist die Bemessung des Streitwerts zur Festsetzung der Gebühren nach § 63 Abs. 2 GKG. Mit Schriftsatz vom 17.2.2011 hat der Beklagtenvertreter (hilfsweise) beantragt, den Wert für die Bemessung der Rechtsanwaltsgebühren gem. § 33 RVG höher als den gerichtlichen Wert festzusetzen.

II.1. Streitwert des Berufungsverfahrens

Der Streitwert des Berufungsverfahrens bemisst sich im vorliegenden Räumungsstreit nach der doppelten Jahresmiete der vermieteten Immobilie inkl. USt. Für die Berufung der Klägerin (Räumungsantrag) und für die Anschlussberufung der Beklagten (Angriff gegen die Feststellung der Mietzeit bis Ende 2014) gilt § 41 Abs. 1 bzw. 2 i.V.m. § 45 Abs. 2 GKG, wonach der Streitwert jeweils auf den Jahresmietwert begrenzt ist. Der klägerische Berufungs-Hilfsantrag bleibt gem. § 45 Abs. 3 GKG unberücksichtigt, weil in der II. Instanz darüber nicht zu entscheiden war.

a) Maßgeblich ist für die Räumungsklage nach dem Willen des Gesetzgebers in der Privilegierungsvorschrift des § 41 Abs. 2 GKG der Jahresmietwert und nicht das um ein Vielfaches höhere wirtschaftliche Interesse der Klägerin an der vorzeitigen Beendigung des Mietvertrags mit der Beklagten. Denn wie stets bemisst sich der Wert einer Klage, mit der die Abwicklung eines Vertragsverhältnisses angestrebt wird, nicht nach dem wirtschaftlichen Schaden, der dem Kläger durch die Aufrechterhaltung des Vertrages entstünde, sondern nach dem Wert derjenigen Leistung, von der der Kläger infolge der Auflösung des Vertrages freigestellt werden will (statt vieler OLG Düsseldorf, B. v. 26.11.2009 - 24 U 57/09, MDR 2010, 715, juris-Tz. 30 m. w. N). Im vorliegenden Räumungsprozess hat die Klägerin beantragt, den Besitz an der Mietsache zurückzuerhalten, um die Räume nicht bis zum Ende der nominellen Vertragslaufzeit der Beklagten überlassen zu müssen. Dieses Interesse ist wegen § 41 GKG nicht nach der Restlaufzeit des Vertrags, sondern nach der Jahreskaltmiete zu bestimmen. Auch das hinter der Räumungsklage stehende wirtschaftliche Interesse der Klägerin, das im vorliegenden Fall erheblich höher ist als eine Jahresmiete der Beklagten, ändert nach dem Willen des Gesetz...

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