Verfahrensgang
LG Stuttgart (Beschluss vom 10.12.2020; Aktenzeichen 3 O 292/20) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten werden der Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 10. Dezember 2020, Az. 3 O 292/20, aufgehoben und das Gesuch der Beklagten auf Ablehnung des Richters am Landgericht Dr. ... wegen Besorgnis der Befangenheit für begründet erklärt.
Gründe
I. Die Parteien streiten in der Hauptsache über Ansprüche wegen eines etwaigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung in ein Dieselfahrzeug.
Der zuständige Einzelrichter des Landgerichts ist auch für diverse Parallelverfahren zuständig, in denen die Beklagte wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen in Anspruch genommen werden soll. Am 13. November 2019 führte er einen "Sammeltermin" zu 21 dieser Verfahren durch (führendes Az.: 3 O 254/18), woraufhin ihn die Beklagte in den betreffenden Verfahren wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnte und der Einzelrichter hierzu im Dezember 2019 eine dienstliche Äußerung abgab. In einem anderen Parallelverfahren, Az.: 3 O 57/20, erklärte ein Senat des Oberlandesgerichts Stuttgart mit Beschluss vom 1. Juli 2020 ein Ablehnungsgesuch der Beklagten gegen ihn für begründet (Az.: 16a W 3/20, juris). Der Einzelrichter gab daraufhin am 5. Juli 2020 eine "Erweiterte dienstliche Äußerung iSv. § 44 Abs. 3 ZPO" zu dem Verfahren 3 O 254/18 sowie den "dazu verbundene[n] Rechtsstreite[n]" ab.
Im vorliegenden Verfahren ordnete der Einzelrichter mit Verfügung vom 15. Juli 2020 das schriftliche Vorverfahren an; zugleich übersandte er den Parteien seine dienstliche Äußerung zum "Sammeltermin" sowie seine "Erweiterte dienstliche Äußerung" vom 5. Juli 2020 und erklärte, der Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 1. Juli 2020 zeitige keine Wirkung für das Verfahren und ein Grund zur Selbstablehnung bestehe nicht.
Sodann lehnte die Beklagte ihn vorliegend wegen Besorgnis der Befangenheit aufgrund verfahrensübergreifender Ablehnungsgründe ab. Sie hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der abgelehnte Richter habe in 21, teils vor der 3. Zivilkammer und teils vor der 22. Zivilkammer anhängigen Klageverfahren zu einem medienwirksam inszenierten Sammeltermin am 13. November 2019 geladen und trotz im Termin erhobener und wegen zwingender Kammervorlage begründeter Besetzungsrügen in rechtswidriger Weise die Verfahren überraschend zu dem Verfahren 3 O 254/18 verbunden und damit versucht, vollendete Tatsachen zu schaffen und ihr die gesetzlichen Richter der 22. Zivilkammer, die ihm kritischer gegenüberstünden, zu entziehen.
Der abgelehnte Richter sei zuvor schon von der 22. Zivilkammer in sämtlichen die ... AG betreffenden Dieselverfahren, weil seine Ehefrau gegen jene eine Klage wegen dieser Thematik führe, für befangen erklärt worden, was er über Monate hinweg nicht habe akzeptieren wollen, und er bezwecke eine mittelbare Einflussnahme auf das Verfahren seiner Ehefrau über die Verfahren gegen die Beklagte; nur dann ergebe das prozessuale Verhalten des abgelehnten Richters Sinn, der vor einer EuGH-Vorlage von Rechtsfragen mit Auswirkung auch auf die Verfahren gegen die ... AG, namentlich auch zum Nutzungsersatz, in dem Sammeltermin vor zahlreichen Medienvertretern eine 74-seitige Stellungnahme mit seinen persönlichen Auffassungen auch zum nationalen Recht verlesen und den dortigen Parteien auch ausgehändigt habe, wobei er sich inhaltlich als Anwalt der Kläger gesehen und deutlich gemacht habe, nicht zwischen der ... AG und der Beklagten differenzieren zu wollen.
Ein auf diese Begründungen gestütztes Ablehnungsgesuch habe das Oberlandesgericht zum Verfahren 3 O 57/20 bereits für begründet erklärt.
Mit seiner prozessual nicht vorgesehenen und falsch als "Erweiterte dienstliche Äußerung" bezeichneten Gegendarstellung in den 21 verbundenen Verfahren in Reaktion auf diesen Beschluss des Oberlandesgerichts habe der abgelehnte Richter ein besonders schwerwiegendes und untragbares Fehlverhalten gezeigt, da der Gesetzgeber nicht vorgesehen habe, dass ein rechtkräftig abgelehnter Richter eine Gegendarstellung abgebe, um der drohenden Absetzung in gleichgelagerten Parallelverfahren entgegenzuwirken, und es dem abgelehnten Richter zudem nicht um die Darstellung von Tatsachen, sondern einen Angriff gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts gegangen sei; der abgelehnte Richter habe sich zum Richter in eigener Sache aufgeschwungen und zudem seine Gegendarstellung - anders als bei früheren dienstlichen Äußerungen und dies auch noch verschleiert - persönlich per Fax in Unkenntnis der zuständigen Richter direkt an die Parteien übermittelt, da er davon ausgegangen sei, dass seine unzulässige Gegendarstellung anderenfalls nicht verteilt werden würde. Der abgelehnte Richter habe darüber hinaus in seiner Gegendarstellung eine falsche Tatsachenbehauptung über die Anrufung der Kammer vor einer EuGH-Vorlage aufgestellt und auch, zu diesem Zeitpunkt des Verfahrens unzulässig, in der Sache gegen die Beklagte argumentiert sowie rechtswidrig gerichtsi...