Leitsatz (amtlich)
Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Lassen sich Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 (1) der Richtlinie 85/577/EWG dahin gehend auslegen, dass der nationale Gesetzgeber nicht daran gehindert ist, das nach Art. 5 der Richtlinie eingeräumte Recht, zurückzutreten, trotz fehlerhafter Belehrung des Verbrauchers dadurch zeitlich zu begrenzen, dass es einen Monat nach beiderseits vollständiger Erbringung der Leistungen aus dem Vertrag erlischt? Falls der Gerichtshof die erste Vorlagefrage verneint:
2. Ist die Richtlinie 85/577/EWG dahin gehend auszulegen, dass das Recht, zurückzutreten, vom Verbraucher - insb. nach Abwicklung des Vertrags - nicht verwirkt wer-den kann, wenn er nicht nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie belehrt wurde?
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Aktenzeichen 8 O 694/04) |
Tenor
I. Der Rechtsstreit wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Lassen sich Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 (1) der Richtlinie 85/577/EWG dahin gehend auslegen, dass der nationale Gesetzgeber nicht daran gehindert ist, das nach Art. 5 der Richtlinie eingeräumte Recht, zurückzutreten, trotz fehlerhafter Belehrung des Verbrauchers dadurch zeitlich zu begrenzen, dass es einen Monat nach beiderseits vollständiger Erbringung der Leistungen aus dem Vertrag erlischt?
Falls der Gerichtshof die erste Vorlagefrage verneint:
2. Ist die Richtlinie 85/577/EWG dahin gehend auszulegen, dass das Recht, zurückzutreten, vom Verbraucher - insb. nach Abwicklung des Vertrags - nicht verwirkt werden kann, wenn er nicht nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie belehrt wurde?
Gründe
Zu I.: Die Aussetzung des Rechtsstreits beruht auf § 148 ZPO und ist notwendige Folge des Vorlageverfahrens nach Art. 234 EG (statt vieler: Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl. Vorb. zu § 239 Rz. 10).
Zu II.: Die Klägerin, eine inzwischen pensionierte Lehrerin, hatte bei der Rechtsvorgängerin der beklagten Bank ein Darlehen aufgenommen, um den Erwerb von Immobilienfondsanteilen zu finanzieren. Sie hat das Darlehen vorzeitig zurückbezahlt und hierzu bei einer Bausparkasse ein anderes Darlehen aufgenommen. Mit der Klage verlangt sie von der Beklagten die Rückerstattung ihrer Zinszahlungen an die Rechtsvorgängerin der Beklagten und der an diese zurückgezahlten Darlehensvaluta sowie Ersatz der an die Bausparkasse für das Ablösungsdarlehen bezahlten Zinsen. Sie stützt sich hierzu u.a. auf eine Rückabwicklung des Darlehensvertrags nach einem Widerruf gestützt auf den Abschluss des Darlehensvertrages in einer Haustürsituation.
Nach einer Beweisaufnahme des Senats zur Haustürsituation stellen sich die Tatsachen im Einzelnen wie folgt dar:
Die Nachbarin F. der Klägerin hatte sich im Jahre 1992 aus Steuerspargründen zusammen mit ihrem Ehegatten an einem Immobilienfonds beteiligt und den Erwerb voll finanziert. Der Vermittler der Fondsbeteiligung B. hatte die Nachbarin F. nach Abschluss des Geschäfts gebeten, ihn zu informieren, wenn Personen aus ihrer Bekanntschaft ebenfalls Interesse an Immobilienfondsanteilen hätten.
Frau F. hatte der Klägerin in der Vergangenheit immer wieder bei der Erstellung ihrer Einkommenssteuererklärungen geholfen und war daher über deren Einkommen und steuerliche Verhältnisse informiert. Sie fragte die Klägerin, ob auch diese sich an einem solchen Steuersparmodell beteiligen wolle. Die Klägerin zeigte sich interessiert und Frau F, teilte dies dem Vermittler B. mit. Es kam zu einer Terminsvereinbarung, nach der der Vermittler B. die Klägerin in deren Wohnung am 31.10.1992 besuchen sollte. Der Vermittler B. konnte den Termin dann aber nicht wahrnehmen. Er übergab Frau F. daher die erforderlichen Unterlagen, instruierte sie und schickte sie in seiner Vertretung zur Klägerin. Frau F. führte eine Beratung durch, die sich nicht nur auf den Erwerb von Fondsanteilen, sondern auch deren Finanzierung durch eine Bank erstreckte. Am Ende der Beratung unterschrieb die Klägerin einen Eintrittsantrag in die Immobilienfondsgesellschaft.
Am 17.11.1992 erschien die Nachbarin F. erneut bei der Klägerin und ließ sich verschiedene Unterlagen unterzeichnen. Darunter war ein vorbereiteter Darlehensvertrag mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Der Darlehensvertrag enthielt auch eine Widerrufsbelehrung. Diese wollte die Rechtsvorgängerin der Beklagten nach dem Verbraucherkreditgesetz (im Weiteren: "VerbrKrG") vornehmen, wobei sie sich auf den Standpunkt stellte, dass Fondsbeitritt und Darlehen keine verbundenen Geschäfte darstellten. Daher ist folgender Satz Bestandteil der Widerrufsbelehrung:
"Hat der Darlehnsnehmer das Darlehn empfangen, gilt der Widerruf als nicht erfolgt, wenn er das Darlehn nicht binnen zweier Wochen entweder nach Erklärung des Widerrufs oder nach Auszahlung des Darlehns zurückzahlt."
Mitarbeiter der Bank unterschrieben den Darlehensvertrag am 16.12.1992. Die Bank zahlte die Darlehensvaluta aus. Die Klägerin nahm die Zinsz...