Leitsatz (amtlich)
Eine Besorgnis der Befangenheit liegt vor, wenn der abgelehnte Richter in einer dienstlichen Stellungnahme auf ein nicht ganz abwegiges Ablehnungsgesuch hin mit unsachlicher Kritik reagiert.
Normenkette
ZPO § 42 Abs. 1-2, § 44 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Tübingen (Beschluss vom 29.04.2024; Aktenzeichen 8 O 105/22) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Landgerichts Tübingen vom 29.04.2024, Az. 8 O 105/22, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Das Ablehnungsgesuch des Beklagten gegen den Richter ... wird für begründet erachtet.
Gründe
I. Der Beklagte wird von den Klägern auf Räumung und Herausgabe einer gewerblich genutzten Immobilie in Anspruch genommen. Nach zwischenzeitlichem Ruhen des Verfahrens war für den 12.01.2024 ein Verhandlungstermin anberaumt. Am 08.01.2024 beantragten die Klägervertreter eine Terminsaufhebung mit der Begründung und der anwaltlichen Versicherung, dass der alleinige Sachbearbeiter, Rechtsanwalt S., erkrankt sei. Daraufhin wurde der Termin um drei Monate verlegt. Der Beklagte selbst teilte in einem Schreiben vom 12.01.2024 dem Gericht mit, dass er bei der Kanzlei ... am Vormittag angerufen habe und ihm mitgeteilt worden sei, dass Rechtsanwalt S. gerade auf der zweiten Leitung telefoniere und danach gerne zurückrufen werde. Er frage sich, wie sich denn das mit dem Verlegungsgrund vereinbaren lasse. Das Schreiben endete mit dem folgenden Satz:
"Da Herr RA S. bei den laufenden Verfahren, nun schon mehr als 30-mal, irgendwelche Verhinderungsgründe dafür nannte, sehe ich mein Misstrauen gegenüber Herrn RA S. bestätigt und bitte um Aufklärung."
Rechtsanwalt S. teilte daraufhin - auf entsprechende Aufforderung des Gerichts - mit, er sei am 12.01.2024 arbeitsunfähig krank gewesen. Er habe am 12.01.2024 lediglich zur Abholung einzelner Akten und zur Organisation seiner Vertretung die Kanzleiräume kurzzeitig betreten. Eine Terminswahrnehmung sei aber nicht möglich gewesen. Der Beklagte habe nicht mit seinem Sekretariat sondern mit der Auszubildenden Frau O. telefoniert, die ihm lediglich mitgeteilt habe, dass er - Rechtsanwalt S. - derzeit nicht zu sprechen sei. Hieran anschließend erstellte der zuständige Einzelrichter Richter ... am 18.01.2024 folgende Verfügung:
"Aus hiesiger Sicht ist die Sache geklärt. Der Beklagte möge mit derartigen Unterstellungen künftig ein wenig zurückhaltender sein."
Mit Anwaltsschriftsatz vom 10.04.2024 lehnte der Beklagte Richter ... wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Der zuständige Einzelrichter sei in der Verfügung zu Unrecht davon ausgegangen, dass er - der Beklagte - falsche Tatsachen behauptet habe. So habe er nicht behauptet, dass der Klägervertreter den verschobenen Verhandlungstermin hätte wahrnehmen können. Er habe lediglich die Frage gestellt, wie sich die vorgetragenen Tatsachen mit dem Verlegungsgrund vereinbaren ließen und das Gericht hierzu um Aufklärung gebeten. Nach dem Inhalt der Verfügung habe der abgelehnte Richter die widersprüchlichen Aussagen von Rechtsanwalt S. ohne nachvollziehbaren Grund als wahr angenommen und damit seine Voreingenommenheit und Nicht-Neutralität zu Lasten des Beklagten unter Beweis gestellt. Zudem habe er durch die Verhaltensanweisung an den Beklagten, künftig ein wenig zurückhaltender zu sein, sein Missfallen ausgedrückt. Hiermit schwinge mit, dass das Verhalten des Beklagten im Nichtbeachtensfalle rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könne. Darüberhinausgehend wird der Ablehnungsantrag auf angeblich fortbestehende und unverwirkte Befangenheitsgründe aus anderen Verfahren gestützt.
Richter ... hat sich zu dem Befangenheitsantrag in einer dienstlichen Stellungnahme vom 11.04.2024 geäußert, die mit folgendem Absatz endet:
"Meinem Eindruck nach geht es dem Beklagten, der den Antrag zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung eingereicht hat, um Verfahrensverzögerung. Ich bin erstaunt, dass Herr Dr. R., den ich als fairen und vernünftigen Anwalt kennengelernt habe, sich in dieser Weise für den Beklagten einsetzt, anstatt in der Sache zu streiten. Der Befangenheitsantrag ist im Übrigen nicht der erste, den der Beklagte eingereicht hat. Der letzte hat sich gegen Frau B. gerichtet und war offensichtlich unbegründet."
Hierzu nahm der Beklagte Stellung und führte aus, dass die dienstliche Stellungnahme weitere Ablehnungsgründe offenbare. Die Kläger sind dem Ablehnungsgesuch entgegengetreten.
Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch als unzulässig verworfen, soweit es sich auf bis zum 10.04.2024 entstandene Befangenheitsgründe stützt. Im Übrigen wurde das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Das Ablehnungsgesuch sei unzulässig, soweit es sich auf bis zum 10.04.2024 entstandene Befangenheitsgründe stütze, weil es entgegen § 44 Abs. 4 S. 2 ZPO nicht unverzüglich gestellt worden sei. Die Bestimmung des § 44 Abs. 4 S. 2 ZPO sei anwendbar, nachdem der Beklagte bereits Anträge gestellt habe, indem er am 10.08.2022 die Aussetzung des Verfahrens beantragt und mit Schri...