Leitsatz (amtlich)
1. Der Vorsitzende kann dem Angeklagten für einen Hauptverhandlungstermin einen Verteidiger als Vertreter des zunächst bestellten Verteidigers beiordnen.
2. Ob eine Bestellung zum Vertreter oder zum weiteren Verteidiger vorliegt, richtet sich in erster Linie nach dem Wortlaut der Verfügung. Jedoch liegt dann eine Bestellung zum weiteren Verteidiger vor, wenn der zweite Verteidiger auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls gehalten ist, sich über die bloße Wahrnehmung des Termins hinaus umfassend in den Verfahrensstoff einzuarbeiten und/oder eine aufwändige, den Termin vorbereitende Tätigkeit zu entfalten.
3. Bei Vertretung fällt insgesamt lediglich eine Terminsgebühr an. Dem zweiten Verteidiger stehen darüber hinaus die Grundgebühr und ggf. die Verhandlungsgebühr sowie die Kostenpauschale zu.
Normenkette
StPO § 142 Abs. 1; RVG § 5; RVG VV Nr. 4100 f., Nr. 4106 ff.
Verfahrensgang
LG Tübingen (Entscheidung vom 16.09.2010; Aktenzeichen 1 Kls 14 Js 12716/09) |
LG Tübingen (Entscheidung vom 06.07.2010; Aktenzeichen 1 Kls 14 Js 12716/09) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde von Rechtsanwalt ... werden die Beschlüsse der Rechtspflegerin beim Landgericht Tübingen vom 6. Juli 2010 und des Landgerichts - 1. große Strafkammer - Tübingen vom 16. September 2010
a u f g e h o b e n .
2. Dem Beschwerdeführer ist für die Verteidigung des früheren Angeklagten in der Hauptverhandlung vor der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Tübingen im Termin vom 13. April 2010 eine Vergütung in Höhe von
714,-- €
(in Worten: siebenhundertvierzehn Euro)
zu gewähren.
3. Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Vor der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Tübingen fand in der Zeit vom 23. März 2010 bis zum 13. April 2010 an insgesamt fünf Tagen die Hauptverhandlung gegen ... statt. Er wurde am letztgenannten Termin wegen Verabredung zum schweren Raub zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr sechs Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Der Vorsitzende der Strafkammer hatte ihm Rechtsanwalt ... aus ... als Verteidiger beigeordnet. Wegen dessen Verhinderung am 13. April 2010 bestellte er am 1. April 2010 Rechtsanwalt ... aus ... zum Verteidiger "für den Hauptverhandlungstermin am 13.04.10".
Mit Schriftsatz vom 16. April 2010 beantragte Rechtsanwalt ..., ihm über die Terminsgebühren nach Nr. 4114 und 4117 RVG-VV hinaus eine Grund- und eine Verhandlungsgebühr nach den Nr. 4100 und 4112 RVG-VV sowie die Kostenpauschale von 20,-- € (Nr. 7002 RVG-VV) zu gewähren. Am 6. Juli 2010 setzte die Rechtspflegerin eine Vergütung in Höhe von lediglich 385,56 € fest, da Rechtsanwalt ... als Vertreter für Rechtsanwalt ... aufgetreten sei, so dass weder eine Grund- und Verfahrensgebühr noch eine Kostenpauschale angefallen sei. Statt der Terminsgebühr nach Nr. 4117 sei lediglich eine solche nach Nr. 4116 zu bewilligen, da die Hauptverhandlung genau acht Stunden und nicht länger gedauert habe.
Gegen diese Entscheidung hat Rechtsanwalt ... "Beschwerde" eingelegt, die er darauf stützt, dass nach der Rechtsprechung verschiedener Oberlandesgerichte in diesen Fällen auch die Grund- und die Verfahrensgebühr und die Kostenpauschale angefallen sei. Im Übrigen habe die Hauptverhandlung länger als acht Stunden angedauert. Die Bezirksrevisorin hält ebenso wie die Rechtspflegerin lediglich die Zahlung von Terminsgebühren für gerechtfertigt. Die Strafkammer hat durch Beschluss des Einzelrichters vom 16. September 2010 die Erinnerung als unbegründet verworfen. Es sei in der Rechtsprechung umstritten, ob neben der Terminsgebühr weitere Gebühren anfielen. Da im vorliegenden Verfahren, dessen Abschluss unmittelbar bevorgestanden habe, keine eingehende Einarbeitung des Verteidigers erforderlich gewesen sei, seien lediglich Terminsgebühren in Ansatz zu bringen. Das Plädoyer, welches Rechtsanwalt ... gehalten habe, sei von seinem Kollegen vorgefertigt gewesen. Im Übrigen habe die Hauptverhandlung wie aus dem Protokoll ersichtlich genau acht Stunden gedauert.
Rechtsanwalt ... hat gegen den Beschluss des Landgerichts "weitere Beschwerde" eingelegt. Er hält unter Berufung auf Entscheidungen der Oberlandesgerichte Köln und Düsseldorf die Festsetzung auch einer Grund- und einer Verfahrensgebühr sowie der Kostenpauschale für gerechtfertigt. Das Plädoyer, das er gehalten habe, sei nicht vorgefertigt gewesen. Sein Kollege habe ihn mit der Übergabe der Akte lediglich in das Verfahren eingewiesen. Hinsichtlich der Dauer der Verhandlung berufe er sich auf mitverteidigende Kollegen.
Der Einzelrichter hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II. 1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist innerhalb der Frist von zwei Wochen (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3 RVG) eingelegt worden, und der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,-- € (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 RVG).
2. Der Einzelrichter hat mit Beschluss vom heutigen Tage die Sache angesichts ihrer grundsätzlichen Bedeutung auf den Senat übertragen (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 2 ...