Leitsatz (amtlich)

Ob der "Terminsvertreter" des Pflichtverteidigers nachTeil 4 Abschnitt1 VV RVG neben der Terminsgebühr auch Grundgebühr und ggf. Verfahrensgebühr abrechnen kann, richtet sich in erster Linie nach dem Wortlaut der "Bestellungsverfügung"; im Übrigen haben die weiteren Umstände des Verfahrens Bedeutung.

 

Tenor

  • I.

    Das Verfahren wird der Kammer übertragen.

  • II.

    Auf die Beschwerde der Pflichtverteidigerin werden die Beschlüsse des Amtsgerichts Sinzig vom 05. Juli 2012 und vom 11. Juli 2012 aufgehoben. Die an Rechtsanwältin M. aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung ,wird auf 710,91 Euro festgesetzt.

    Die weitergehende Beschwerde wird als unbegründet zu-rückgewiesen.

    Die weitere Beschwerde wird zugelassen.

  • III.

    Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I.

In dem Strafverfahren 2090 Js 71483/10.jug 3 Ds wurde Rechtsanwältin M. durch Beschluss vom 26. Januar 2012 an diesem Tag dem Angeklagten für den Termin am 26. Januar 2012" als Pflichtverteidigerin beigeordnet. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der bereits beigeordnete Pflichtverteidiger Rechtsanwalt X. aus Bonn aufgrund einer Terminskollision an der Teilnahme in der Hauptverhandlung vom 26. Januar 2012 gehindert ist.'

Nach Abschluss des Strafverfahrens, in dem der Verurteilte unter Auferlegung der Verfahrenskosten rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, beantragte Rechtsanwältin M. am 31. Januar 2012, für ihre Tätigkeit 844,19 Euro als Gebühren und Auslagen festzusetzen (Bl. 495 d. A.).

Im Einzelnen handelte es sich um folgende Beträge:

Grundgebühr (Nr. 4100 VV) 132,00 €

Verfahrensgebühr (Nr. 4106 VV) 112,00 €

Terminsgebühr (Nr. 4108 VV) 184,00 €

Terminsgebühr/Zusatzgebühr für mehr als 8 Stunden Hauptverhandlung (Nr. 4111 VV) 184,00 €

Geschäftsreise, Benutzung des eigenen Kfz

(Nr. 7003 VV), 58 km 17,40 €

Geschäftsreise, Tage- und Abwesenheitsgeld für mehr als acht Stunden (Nr. 7005 Nr. 3 VV) 60,00 €

Post- u. Telekomm.-Entgelt (Nr. 7002 VV) 20,00 €

709,40 €

zzgl. 19% MWSt 134,79 €

gesamt 844,19 €

Das Amtsgericht Sinzig veranlasste am 03. Mai 2012 die Auszahlung des beantragten Betrages in Höhe von 844,19 € an Rechtsanwältin M.. Nach Kenntnisnahme des Bezirksrevisors hiervon und Verweis auf eine Entscheidung des OLG Saarbrücken (Beschluss vom 29. Juli 2010 - 1 Ws 82/10) schrieb das Amtsgericht sodann am 05. Juni 2012 Rechtsanwältin M an und forderte von dieser einen Betrag von 290,26 € zurück, da versehentlich die Grund-und die Verfahrensgebühr erstattet worden seien; diese stünden der Rechtsanwältin - so das Amtsgericht unter Verweis auf die Rechtsprechung des OLG Saarbrücken - indes nicht zu. Mit Schreiben vom 26. Juni 2012 lehnte Rechtsanwältin die begehrte Rückzahlung ab.

Mit Beschluss vom 05. Juli 2012 setzte das Amtsgericht die an Rechtsanwältin zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 553,83 € fest mit der Begründung, dass die Grund- und Verfahrensgebühr im Hinblick auf die Entscheidung des OLG Saarbrücken, welche auf den vorliegenden Fall übertragbar sei, abzusetzen seien.

Gegen diese Entscheidung hat Rechtsanwältin am 10. Juli 2012 Erinnerung eingelegt, mit der sie ihren ursprünglichen Antrag weiterverfolgt mit der Begründung, dass auch dem Pflichtverteidiger (als Terminsvertreter) sämtliche im konkreten Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG zustünden und nicht lediglich die Terminsgebühr.

Die Urkundsbeamtin beim Amtsgericht hat der Erinnerung nicht abgeholfen und die Sache der Amtsrichterin zur Entscheidung vorgelegt. Diese hat mit dem angefochtenen Beschluss die Erinnerung der Rechtsanwältin als unbegründet verworfen. Wegen der Begründung wird auf den angefochtenen Beschluss (B1. 752 ff d.A.) verwiesen.

Hiergegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit der fristgerecht erhobenen Beschwerde, der die Amtsrichterin nicht abgeholfen hat.

II.

1. Die Entscheidung über die Beschwerde war gemäß § 56 Abs. 2, 33 Abs. 8 S. 2 RVG der Kammer zur Entscheidung zu übertragen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die angefochtene Entscheidung wirft die für die Einheitlichkeit der Rechtsprechung bedeutsame Frage auf, welche Gebühren der lediglich für einen von mehreren Hauptverhandlungsterminen bestellte Pflichtverteidiger verlangen kann. Die angefochtene Entscheidung weicht von einem Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung ab. Eine obergerichtliche Entscheidung aus dem hiesigen Oberlandesgerichtsbezirk liegt - soweit ersichtlich - noch nicht vor.

2. Die gemäß § 56 Abs. 2 i.V.m. § 33 Abs. 3 RVG zulässige Beschwerde hat in der Sache teilweise Erfolg. Der Beschwerdeführerin steht ein Vergütungsanspruch gegen die Landeskasse gemäß § 45 Abs. 3 RVG in der aus dem Tenor ersichtlichen Höhe zu.

Die Frage, ob dem Verteidiger, der lediglich für einen von mehreren Hauptverhandlungsterminen bestellt worden ist, über die Terminsgebühr hinaus weitere Gebühren (Grundgebühr, Verfahrensgebühr) zuzubilligen sind, wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilt.

Einerseits wird darauf hingewiesen...

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