Leitsatz (amtlich)
1. a) Für den Börsenkurs, der bei der Festsetzung der angemessenen Abfindung für die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre nicht unberücksichtigt bleiben darf, ist maßgeblich der nach Umsatz gewichtete Durchschnittskurs innerhalb einer dreimonatigen Referenzperiode vor der Bekanntmachung des Squeeze-out (vgl. BGH ZIP 2010, 1487 Tz. 10 - "Stollwerck").
b) Eine Hochrechnung des Börsenwertes entsprechend der allgemeinen oder branchentypischen Wertentwicklung hat jedenfalls dann nicht zu erfolgen, wenn zwischen der Bekanntgabe der Strukturmaßnahme und dem Tag der Hauptversammlung ein Zeitraum von nicht mehr als sechs Monaten verstrichen ist.
c) Alleine der für den Fall eines Squeeze-out typischer Weise geringe Streubesitz rechtfertigt es nicht, von der Berücksichtigung des Börsenkurses abzusehen.
2. Eine eindeutige Festlegung der Marktrisikoprämie ist auch nach dem aktuellen Stand der Wirtschaftswissenschaften empirisch nicht möglich. Eine Orientierung der Prämie zwischen dem geometrischen und dem arithmetischen Mittelwert ist weiterhin angemessen.
Normenkette
AktG §§ 327a, 327b, 327f; ZPO § 287
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Beschluss vom 01.09.2008; Aktenzeichen 34 O 156/07 KfH AktG) |
Tenor
1. Die sofortigen Beschwerden der Antragsteller zu 1, 10, 11, 12, 14, 15, 16, 20, 26, 27, 28, 31, 32, 33, 35, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 47, 48, 50, 57, 58, 59, 60, 64, 65, 66, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 86, 88, 89, 92, 93, 95, 96, 101, 104 und 106 gegen den Beschluss der 34. Kammer für Handelssachen des LG Stuttgart vom 1.9.2008 (34 O 156/07 KfH AktG), werden zurückgewiesen.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens; die im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten werden nicht erstattet.
3. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 200.000 EUR festgesetzt.
Gründe
A. In dem diesem Beschwerdeverfahren zugrunde liegenden Spruchverfahren begehren die Antragsteller die Bestimmung einer angemessenen Abfindung für die Minderheitsaktionäre der X AG nach § 327 f. Satz 2 AktG.
I.1. Die Antragsteller waren Minderheitsaktionäre der X AG (im Folgenden: X) mit Sitz in N..
Die X ist die Führungsgesellschaft des Y Unternehmensbereichs A. und als weltweit tätiger Automobilzulieferer spezialisiert auf die Bereiche Luftversorgung, Schadstoffreduzierung und Pumpen sowie Entwicklung, Fertigung und Ersatzteillieferung von Kolben, Motorblöcken und Gleitlagern (vgl. S. 5 der "Gutachtlichen Stellungnahme der W Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, F. vom 27.4.2007, zur Ermittlung des Unternehmenswertes zum 26.6.2007 der X AG, N."; Teil B der Unterlagen zur außerordentlichen Hauptversammlung am 26.6.2007; Anlage 7 zum Bericht der Hauptaktionärin; in: Anlagenkonvolut Ag 2 [im Folgenden: W-Gutachten]).
Die Gesellschaft verfügte am 31.12.2006 weltweit über mehr als 40 Tochtergesellschaften. Die Geschäftstätigkeit des X-Konzerns war in Form einer Matrix mit dem Primärsegment "Geschäftsbereiche" und dem Sekundärsegment "Regionen" organisiert.
Die "Geschäftsbereiche" betrafen: P. (Luftversorgung, Schadstoffreduzierung sowie Öl-, Vakuum- und Wasserpumpen), X Kolben (Kolben für Otto- und Dieselmotoren), X Gleitlager (Motorengleitlager und Trockengleitlager), X Aluminium-Technologie (Motorblöcke) und Motor Service (Ersatzteillieferung; vgl. S. 5 des W-Gutachtens). Das Sekundärsegment "Regionen" gliederte sich in die Regionen Deutschland, Übriges Europa, Nord-/Mittelamerika, Südamerika, Asien und sonstige Regionen (vgl. S. 5 des W-Gutachtens).
Die Kernmärkte des X-Konzerns sind Westeuropa und die NAFTA-Staaten (USA, Canada, Mexico). Der größte Anteil des Umsatzes entfällt mit 44 % auf das europäische Ausland und mit 32 % auf Deutschland. 14 % des Umsatzes wurden 2006 in Nord- und Mittelamerika erzielt, Südamerika und Asien trugen 5 % bzw. 4 % zum Gesamtumsatz bei; 1 % entfällt auf sonstige Regionen (LGB 10 i.V.m. S. 6 des W-Gutachtens). Die wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaft wird im Wesentlichen durch den Verlauf der weltweiten Automobilkonjunktur beeinflusst (LGB 10).
Das Grundkapital der X beträgt 71.688.691,20 EUR und ist eingeteilt in 28.003.395 auf den Inhaber lautende nennwertlose Stückaktien (vgl. S. 4 des W-Gutachtens). Die Aktien waren im amtlichen Handel an den Wertpapierbörsen in F., S. und D. notiert und wurden im Freiverkehr an den Wertpapierbörsen B.-B., H. und H. gehandelt. Am 14.3.2003 war die X aus dem MDAX ausgeschieden, da der Free Float (Streubesitz unter 5 %) nicht mehr ausreichte (LGB 10). Vom 31.5.2003 bis 18.7.2003 währte ein freiwilliges öffentliches Kaufangebot der Antragsgegnerin i.H.v. 15 EUR je Aktie (LGB 10). Zum Zeitpunkt der hier maßgeblichen Hauptversammlung vom 26.6.2007 hielt die Antragsgegnerin bereits 27.333.219 Aktien unmittelbar bzw. mittelbar über ihre 100%ige Tochtergesellschaft Y-Verwaltungsgesellschaft mbH bzw. die zu 94,95 % in ihrem Mehrheitsbesitz stehende X-Beteiligungs-GmbH & Co. KG. Im Streubesitz der Minderheit...