Leitsatz (amtlich)
1. Auslieferung zur Strafvollstreckung nach Rumänien im Falle eines Abwesenheitsurteils.
2. Zu den Voraussetzungen der Einräumung eines Wiederaufnahmeverfahrens nach rumänischem Verfahrensrecht, wenn der Verfolgte nur durch Niederlegung und/oder öffentliche Ladung zu dem Termin geladen war, in dem das Abwesenheitsurteil erging.
3. Das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren, in dem entsprechend § 83 Nr. 3 IRG der gegen den Verfolgten erhobene Vorwurf umfassend geprüft und in dem ihm das Recht auf Anwesenheit eingeräumt wird, liegt nur dann vor, wenn das zuständige Gericht des ersuchenden Staates einen hierauf form- und fristgerecht gestellten Antrag nicht ablehnen kann.
Normenkette
IRG § 83 Nr. 3
Tenor
Die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Rumänien zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten aus dem rechtskräftigen Strafurteil des Gerichts in Timişoara vom 20. Oktober 2014 ist
derzeit nicht zulässig.
Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 16. Januar 2015 wird
aufgehoben.
- Der Verfolgte ist in dieser Sache freizulassen.
Gründe
I.
1. Durch Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) und Übermittlung eines Europäischen Haftbefehls, ausgestellt durch das Amtsgericht Timişoara am 12. Dezember 2014 (Az. 3845/325/2014), ersuchen die rumänischen Justizbehörden um Festnahme und Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafvollstreckung.
Dem Europäischen Haftbefehl liegt das Strafurteil Nr. 3778 des Amtsgerichts in Timişoara vom 20. Oktober 2014 (Az.: 3845/325/2014), rechtskräftig seit 18. November 2014, zugrunde, durch welches der Verfolgte wegen schweren Diebstahls zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt worden ist, die - abzüglich der am 19. November 2011 erlittenen Untersuchungshaft - noch in voller Höhe zu verbüßen ist. Der Verfolgte soll in der Nacht des 18. November 2011 zusammen mit dem minderjährigen Mittäter T. in T. die Scheiben eines der D. gehörenden Fiat Doblo und eines dem H. gehörenden Renault eingeschlagen und aus den Fahrzeugen die Radios/CD-Player entwendet haben.
2. Der Verfolgte befindet sich in Auslieferungshaft aufgrund Auslieferungshaftbefehls des Senats vom 16. Januar 2015. Er war zuvor am 12. Januar 2015 aufgrund der SIS-Ausschreibung einer Haftrichterin des Amtsgerichts Stuttgart vorgeführt worden, die eine Festhalteanordnung gemäß § 22 Abs. 3 Satz 2 IRG erließ. Nach richterlicher Belehrung erklärte der Verfolgte sich hier mit einer vereinfachten Auslieferung einverstanden. Am 26. Januar 2015 wurde dem Verfolgten der Auslieferungshaftbefehl des Senats durch die Haftrichterin des Amtsgerichts Stuttgart eröffnet, nunmehr verzichtete der Verfolgte auch auf Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes.
3. In dem Auslieferungshaftbefehl vom 16. Januar 2015 hatte der Senat im Hinblick auf die Angaben im Europäischen Haftbefehl, dass es sich bei dem dem Ersuchen zugrunde liegenden Urteil um ein Abwesenheitsurteil handelt, auf ein mögliches Auslieferungshindernis nach § 83 Nr. 3 IRG hingewiesen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat insoweit die rumänischen Behörden mit Schreiben vom 22. Januar 2015 um Erteilung ergänzender Auskünfte gebeten. Zur Frage, ob dem Verfolgten nach seiner Überstellung das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren eingeräumt würde, erschöpft sich das Schreiben des Amtsgerichts Timişoara in allgemeinen Ausführungen zur Rechtslage. Zu den Erfolgsaussichten eines etwaigen Antrags auf Wiederaufnahme (Neueröffnung) des Strafprozesses möchte das ersuchende Gericht sich nicht äußern. Über einen entsprechenden Antrag äußere "sich im Sinne der Genehmigung oder der Ablehnung das Gericht, das für die Lösung eines solchen Prozesses ernannt wurde, wenn die oben genannten Bedingungen erfüllt sind".
Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Vorabentscheidung vom 4. Februar 2015 angekündigt, dass die Geltendmachung von Bewilligungshindernissen nicht beabsichtigt sei. Sie beantragt nunmehr gemäß § 29 Abs. 2 IRG, über die Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten zu entscheiden.
II.
Eine Auslieferung des Verfolgten zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem in seiner Abwesenheit ergangenen Urteil des Gerichts in Timişoara vom 20. Oktober 2014 ist derzeit unzulässig, weil die grundlegende Verfahrensgarantie der Einräumung des Rechts auf ein neues Gerichtsverfahren, in dem der gegen den in Abwesenheit verurteilten Verfolgten erhobene Vorwurf umfassend überprüft wird und in dem ein Recht auf Anwesenheit bei der Gerichtsverhandlung eingeräumt wird (§ 83 Nr. 3 IRG), nicht eingehalten ist.
Der Verfolgte war bei der Gerichtsverhandlung nicht anwesend. Die rumänischen Behörden haben keine Umstände dargelegt, welche die Annahme eines Fluchtfalles rechtfertigen würden, obschon die Generalstaatsanwaltschaft mit Schreiben vom 22. Januar 2015 insoweit um ergänzende Auskünfte gebeten hat. Mit Schreiben vom 29. Januar 2015 teilte das Amtsgericht Timişoara mit, dass der Verfolgte zu den Prozessterminen am 12. Juni 2014, am 16. Juli 201...