Leitsatz (amtlich)
1. Auslieferung zur Strafvollstreckung nach Rumänien im Falle eines Abwesenheitsurteils.
2. Zu den Voraussetzungen der Einräumung eines Wiederaufnahmeverfahrens nach rumänischem Verfahrensrecht, wenn der Verfolgte in dem Termin, in dem das Abwesenheitsurteil erging, durch einen Verteidiger vertreten war.
3. Das Recht auf ein neues Gerichtsverfahren, in dem entsprechend § 83 Nr. 3 IRG der gegen den Verfolgten erhobene Vorwurf umfassend geprüft und in dem ihm das Recht auf Anwesenheit eingeräumt wird, liegt nur dann vor, wenn das zuständige Gericht des ersuchenden Staates einen hierauf form- und fristgerecht gestellten Antrag nicht ablehnen kann (Fortführung Senatsbeschluss vom 5. Februar 2015 - 1 Ausl 6/15).
Normenkette
IRG § 83 Nr. 3
Gründe
I.
1. Durch Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) und Übermittlung des Europäischen Haftbefehls Nr. 3 des Amtsgerichts Timişoara vom 10. Februar 2014 (Az.: 12010/325/2013), ersuchen die rumänischen Justizbehörden um Festnahme und Auslieferung des rumänischen Staatsangehörigen I. zum Zwecke der Strafvollstreckung.
Dem Europäischen Haftbefehl liegt das Strafurteil Nr. 54 des Amtsgerichts Timişoara vom 15. Januar 2014 (Az.: 12010/325/2013), rechtskräftig seit 3. Februar 2014, zugrunde, durch welches der Verfolgte wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach Artikel 86 Abs. 1 des rumänischen Strafgesetzbuchs, Beihilfe zur Urkundenfälschung gemäß Artikel 26 i.V.m. Artikel 288 Abs. 1 des rumänischen Strafgesetzbuchs sowie wegen der Nutzung von gefälschten Unterlagen gemäß Artikel 291 des rumänischen Strafgesetzbuchs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt wurde, die noch in voller Höhe zu verbüßen ist.
Der Verfolgte soll am 9. Oktober 2009 gegen 21.25 Uhr mit dem Fahrzeug der Marke Dacia Logan und dem amtlichen Kennzeichen ... auf der V. in T. gefahren sein, ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein. Als er von der Polizei kontrolliert worden sei, soll er einen auf seinen Namen ausgestellten Führerschein vorgezeigt haben, welchen er auch Ende September 2009 dem Geschäftsführer der Taxifirma ... aus T. vorgelegt haben soll, um eine Anstellung als Taxifahrer zu erreichen.
2. Der Verfolgte ist am 1. März 2015 in das Bundesgebiet eingereist und wohnt alleine an der Meldeanschrift ... Er ist beim Reiterstall H., ... beschäftigt und auch rentenversichert. Ein Kraftfahrzeug ist auf ihn nicht zugelassen und eine Telefonnummer ist für ihn nicht vergeben. Er befindet sich auf freiem Fuß und wurde zu dem Auslieferungsersuchen nicht gehört.
3. Im Hinblick auf die Angabe im Europäischen Haftbefehl, dass es sich bei dem dem Ersuchen zugrunde liegenden Urteil um ein Abwesenheitsurteil handelt, hat die Generalstaatsanwaltschaft auf ein mögliches Auslieferungshindernis nach § 83 Nr. 3 IRG hingewiesen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat insoweit die rumänischen Behörden mit Schreiben vom 13. Mai 2015 darauf hingewiesen, unter welchen Voraussetzungen eine Auslieferung zur Vollstreckung eines Abwesenheitsurteils nach deutschem Recht zulässig ist, und um Übersendung von Nachweisen, z.B. einer Zustellungsurkunde, gebeten, aus denen sich ergibt, dass der Verfolgte persönlich von dem Hauptverhandlungstermin benachrichtigt worden war.
Hierzu haben die rumänischen Behörden mit Schreiben vom 26. Mai 2015 Folgendes mitgeteilt:
"...teilen wir Ihnen mit, dass er an seiner bekannten Anschrift aus Rumänien vorgeladen wurde, es wurde einschließlich ein Bringungsbefehl auf seinen Namen ausgestellt, aber er hat die Vorladung nicht persönlich erhalten, da so wie es aus den Anmerkungen des Protokolls für die Vollstreckung des Befehls folgt, die oben genannte Person nicht an ihrer Wohnanschrift vorgefunden wurde. In dieser Situation wurde seine Vorladung am Sitz des Lokalrats T. verordnet gemäß den Bestimmungen des Artikel 177 Abs. 4 Strafprozessordnung...".
Darüber hinaus wurden die rumänischen Behörden um Mitteilung gebeten, ob im Falle des Verfolgten die Voraussetzungen des rumänischen Strafprozessrechts für eine Wiederaufnahme des Strafverfahrens vorliegen.
Hierzu lautete die Antwort wie folgt:
"Was das Recht der verfolgten Person, die in Abwesenheit verurteilt wurde, betrifft, von der erneuten Verhandlung des Falles zu profitieren, teilen wir Ihnen mit, dass in diesem Fall die Bestimmung des Artikels 466 neue Strafprozessordnung, die ab dem 1. Februar 2014 gelten, anwendbar sind, die das erneute Aufrollen eines Strafprozesses im Falle einer in Abwesenheit verurteilten Person reglementieren und die Folgendes vorsehen ...".
"Was die Klärung der Interpretation der Bestimmungen des Artikels 466 Abs. 2 Strafprozessordnung betrifft, teilen wir Ihnen mit, dass dieser Gesetzestext die Situationen vorsieht, in der die verurteilte Person überhaupt nicht zum Prozess vorgeladen wurde, aber auch die Fälle in der die Instanz Vorladungen im Prozess beziehungsweise auf den Namen des Angeklagten ausgestellt hat (an der bekannten Wohnanschrift oder durch Veröffentlichung an der Tür...